In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
bist gut mit Computern. Du willst mit einem Freund in der Bay Area Computergraphiken machen. Du willst nicht kurz einen älteren Typ in einem Haus an einem Berg in Griechenland lieben und ihn dann verlassen. Die Möglichkeit ist dir nie in den Sinn gekommen.
Du willst bloß, dass ich dir deine Schwestern wegen der Drogen vom Hals halte. Du musstest mir vorsichtshalber nur etwas anhängen.
»Das klingt sehr vernünftig«, sagt die Stimme, die von irgendwo über Peters linker Schulter kommt.
»Versprich mir, dass du’s Rebecca nicht erzählst.«
»Wenn du versprichst, dass du dich von ihr verabschiedest, bevor du aufbrichst.«
»Natürlich mache ich das. Ich sage ihr, dass ich heute Morgen weg bin, weil ich mich geschämt habe, dass ich doch kein Kunsthändler werden will. Sie wird das verstehen.«
Das wird sie. Sie wird es verstehen.
Peter sagt: »Hauptsache, sie nimmt es dir ab.«
»Du bist sehr nett zu mir gewesen.«
Nett. Vielleicht. Oder vielleicht war ich auch so vernarrt, dass ich dich verraten habe, wie es Liebende so oft tun. Wann genau werden wir den Anruf kriegen, dass du dir in der Bay Area eine Überdosis verpasst hast?
»Das war gar nichts«, sagt Peter. »Schließlich gehörst du zur Familie.«
Und dann bleibt wirklich nichts anderes mehr übrig, als zu gehen.
Sie verabschieden sich auf der windigen Banalität der Ninth Avenue, Ecke Seventeenth Street. Eine Plastiktüte wird knapp über ihren Köpfen vorbeigeweht.
Peter sagt: »Dann sehen wir uns also heute Abend daheim?«
Missy zieht einen Riemen seines Rucksacks zurecht. »Wenn’s dir recht ist, schaue ich, glaube ich, in Rebeccas Büro vorbei und verabschiede mich dort von ihr.«
»Keine weitere Nacht?«
Als der Riemen fest sitzt, schenkt Missy Peter den letzten dieser feuchtäugigen Blicke.
»Ich stehe nicht noch mal so eine Nacht durch«, sagt er. »Du etwa?«
Danke, Missy, danke für das Eingeständnis, dass etwas, etwas vorgefallen ist. Etwas, dessentwegen du eine Gefühlsregung hast, die als Scham erkennbar ist.
»Vermutlich nicht. Glaubst du …«
Missy wartet.
»Glaubst du, es kommt Rebecca merkwürdig vor, wenn du so überstürzt abhaust?«
»Sie ist das gewöhnt. Sie weiß, wie ich bin.«
Wirklich? Weiß sie, dass du neben deinen verlockenden Eigenschaften schäbig und ein bisschen hohl bist?
Vermutlich nicht. Ist Missy für Rebecca nicht ein Kunstwerk, so wie er es für Peter ist (war)? Sollte er das nicht auch besser bleiben?
»Tja dann«, sagt Peter.
»Ich rufe dich aus Kalifornien an, okay?«
»Wie kommst du dort hin?«
»Mit dem Bus. Ich habe nicht viel Geld.«
Du wirst nicht den Bus nehmen, Missy. Rebecca wird das nicht zulassen. Sie wird versuchen, dich davon abzuhalten, dass du überhaupt weggehst, aber wenn ihr klar wird, dass sie es nicht kann, dass sie dich von nichts abhalten kann, was du dir in den Kopf gesetzt hast (abgesehen davon natürlich, dass sie nicht weiß, was du eigentlich machst), wird sie sich ans Telefon klemmen und dir ein Flugticket kaufen. Wir beide wissen das.
»Eine gute Reise.«
Sind das deine Abschiedsworte?
»Danke.«
Sie schütteln sich die Hand. Missy geht weg.
Und so. Peter hat sich vorgestellt, er könnte hinweggefegt werden, könnte das Leben anderer zerstören (von seinem eigenen ganz zu schweigen) und sich dennoch eine Art Schuldlosigkeit bewahren, weil Leidenschaft alles aussticht, egal, wie verblendet, egal, wie aussichtslos. Die Geschichte bevorzugt die tragischen Liebenden, die Gatsbys und die Anna K.s, sie vergibt ihnen, selbst wenn sie sie martert. Aber Peter, eine kleine Gestalt an einer unscheinbaren Ecke von Manhattan, wird sich selbst vergeben müssen, er wird sich selbst martern müssen, weil es anscheinend niemand für ihn tut. Über seinem Kopf sind keine auf Lapislazuli gemalten Blattgoldsterne, nur das Grau eines für die Jahreszeit ungewöhnlich kalten Aprilnachmittags. Niemand würde ihn in Bronze gießen. Er wartet, wie all die vielen, an die man sich nicht erinnert, höflich auf einen Zug, der aller Wahrscheinlichkeit nach nie kommen wird.
Was kann er tun, außer wieder zur Arbeit zu gehen?
Das hat er wenigstens – er hat die unwiderrufliche Gewissheit, dass nichts geschieht. Darin steckt eine bittere Erleichterung. Er hat sein Leben wieder (nicht dass es ihm genommen worden wäre), er hat die echte Hoffnung auf größeren Wohlstand (Groff wird vermutlich auf seine Liste kommen, und wer weiß, wer nachfolgt, sobald er einen Künstler wie
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