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In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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oder an Früchten und Pflanzen sammeln kann - die meisten Leute haben ja gar keine Ahnung, wie schwierig das in Wirklichkeit ist. Und McCandless hätt's beinahe hingekriegt.
    Ich schätze, ich komm nicht drum 'rum, mich mit diesem Typen zu identifizieren«, gesteht Roman, während er mit einem Zweig in der Glut herumstochert. »Ich geb's nur ungern zu, aber es ist noch gar nicht mal so lang her, da hätte mir das gleiche passieren können. Ganz am Anfang, als ich gerade in Alaska war, war ich, glaub ich, ganz genauso: genauso grün und übereifrig. Und ich bin sicher, daß es hier in Alaska eine Menge anderer Leute gibt, die damals, als sie hier ankamen, viel mit ihm gemein hatten. Seine Kritiker kann man da getrost miteinschließen. Was vielleicht genau der Grund ist, weshalb sie ihn so streng beurteilen. Vielleicht erinnert McCandless sie zu sehr daran, wie sie früher einmal waren.«
    Romans Beobachtung unterstreicht, wie schwierig es für die unter uns ist, die ganz und gar im Alltagstrott des Erwachsenenlebens aufgehen, sich daran zu erinnern, wie überschwenglich und ungestüm wir in unserer Jugend waren. Wie Everett Ruess' Vater Jahre nachdem sein zwanzigjähriger Sohn für immer in der Wüste verschollen ging, es formulierte: »Der erwachsene Mensch nimmt die seelischen Höhenflüge des Heranwachsenden nicht wahr. Ich glaube, wir alle haben kaum verstanden, was wirklich in Everett vorging.«
    Roman, Andrew und ich bleiben noch weit über Mitternacht hinaus wach und versuchen, aus McCandless' Leben und Tod irgendwie klug zu werden. Unsere Antworten zielen jedoch irgendwie ins Leere, und das, was ihn wirklich ausmachte, sein Wesen, scheint uns verborgen zu bleiben. Nach und nach gerät die Unterhaltung ins Stocken und kommt schließlich zum Erliegen. Als ich mich vom Feuer abkehre, um nach einem Platz für meinen Schlaf sack zu suchen, erblaßt der Nordrand des Himmels bereits im schmutzigen Grau der Morgendämmerung. Obwohl in dieser Nacht überall Moskitoschwärme surren und der Bus bestimmt ein gewisses Maß an Schutz bietet, beschließe ich, mich nicht im Bus schlafen zu legen. Auch die anderen bleiben draußen, fällt mir noch auf, bevor ich in einen traumlosen Schlaf sinke.

Der Stampede Trail II

    KAPITEL ACHTZEHN
    Der heutige Mensch ist kaum mehr fähig, sich auch nur vorzustellen, was es heißt, sich allein von der Jagd zu ernähren. Das Leben eines Jägers besteht in einer einzigen, harten, scheinbar nicht endenwollenden Reise quer durchs Land... Ein Leben in der ständigen Angst, daß der nächste Schritt fehlschlägt, daß das Fangeisen nicht zuschnappt, daß die Treibjagd ergebnislos verläuft oder daß die großen Herden in diesem Jahr ausbleiben. Das Leben des Jägers ist also vor allem von Entbehrung und dem ständig lauernden Hungertod gekennzeichnet.
    JOHN M. CAMPBELL,
 »THE HUNGRY SUMMER«
     
    Was ist Geschichte? Sie ist der Beginn einer jahrhundertelangen systematischen Arbeit, die dazu bestimmt ist, das Geheimnis des Todes aufzuklären und endlich den Tod selber zu überwinden. Aus keinem anderen Grund komponieren die Menschen Sinfonien, entdecken sie die mathematische Unendlichkeit und die elektromagnetischen Wellen. Um in diese Richtung vorzudringen, braucht man einen gewissen Aufschwung der Seele. Sie können keine Entdeckungen machen ohne das geistige Rüstzeug, das uns in den Evangelien gegeben ist. Da ist als erstes die Nächstenliebe, diese hochentwickelte Form der lebendigen Energie, die das Herz des Menschen bis zum Überfluß erfiillt und nach Hingabe und Verschwendung verlangt. Da sind die zwei wesentlichen Elemente, die für die Existenz des modernen Menschen unerläßlich sind: die Idee der Freiheit der Persönlichkeit und die Vorstellung vom Leben als Opfer.
    BORIS PASTERNAK,
 »DOKTOR SCHIWAGO«
    Angestrichender Absatz in einem der
 Bücher, die unter Christopher McCandless'
 Habseligkeiten gefunden wurden;
 die Unterstreichungen stammen von McCandless.
      
    Nachdem sein Plan, die Wildnis zu verlassen, durch den hohen Wasserstand des Teklanika vereitelt worden war, kehrte McCandless am 8. Juli zum Bus zurück. Man kann nur spekulieren, was zu jenem Zeitpunkt in ihm vorging, da sein Tagebuch nichts verrät. Es ist allerdings gut möglich, daß er sich nicht allzu viele Gedanken darüber machte, daß ihm der Rückweg versperrt war. Warum auch? Zu jener Zeit hatte er kaum Grund zur Sorge: Es war Hochsommer, der Wald strotzte geradezu vor Pflanzen und Tierleben, und er

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