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In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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ganz anders. Er konnte richtig schuften, mehr als jeder andere. Egal was anfiel, er hat's gemacht: harte, körperliche Arbeit, verfaultes Getreide und tote Ratten vom Siloboden ausmisten - richtige Schinderjobs, bei denen du so dreckig wirst, daß du am Feierabend in den Spiegel schaust und dich selbst nicht wiedererkennst. Und er hat nie mittendrin aufgegeben. Was er angefangen hat, hat er auch zu Ende geführt. War Ehrensache für ihn. Er war richtiggehend ethisch, wie man so sagt. Hat ganz schön hohe Maßstäbe an sich angelegt.
    Man hat gleich gemerkt, daß der Junge richtig was auf dem Kasten hat«, sagt Westerberg nachdenklich und leert seinen dritten Drink. »Er hat viel gelesen und manchmal richtig philosophisch geredet. Ich schätze, das hat ihm am Ende auch das Genick gebrochen, daß er zuviel nachgedacht hat. Er mußte immer nach dem Sinn fragen, hat unbedingt wissen wollen, warum die Welt so ist, wie sie ist, warum die Leute oft so gemein zueinander sind; 'n paar Mal hab ich schon versucht, ihm zu sagen, daß er sich über so was nicht den Kopf zerbrechen soll, daß das ein Fehler ist, daß er sich da in was verrennt, aus dem er nicht mehr rauskommt. Aber so war er halt. Er mußte immer haargenau wissen, ob das richtig ist, was er da gerade macht, sonst hat er gar nicht erst angefangen.«
    Irgendwann entdeckte Westerberg anhand eines Steuerformblatts, daß McCandless in Wirklichkeit Chris und nicht Alex hieß. »Er hat mir nie gesagt, warum er den Namen überhaupt geändert hat«, erzählt Westerberg.
    »Aus dem, was er so erzählt hat, hat man sich aber denken können, daß zwischen ihm und seiner Familie nicht alles zum besten stand. Aber ich misch mich nicht gerne in die Angelegenheiten anderer Leute ein und hab ihn deshalb auch nie danach gefragt.«
    Falls McCandless sich von seinen Eltern und Geschwistern tatsächlich entfremdet fühlte, so hatte er in Westerberg und seiner Crew zumindest eine Ersatzfamilie gefunden. Die meisten wohnten in Westerbergs Haus in Carthage, einem einfachen, zweistöckigen viktorianischen Bau im Queen - Anne - Stil mit einer riesigen amerikanischen Pappel im Vorgarten, nur ein paar Straßenzüge von der Ortsmitte entfernt. Es muß dort recht locker und lustig zugegangen sein. Die vier oder fünf Mitbewohner wechselten sich beim Kochen ab, gingen gemeinsam zum Trinken und stiegen, ebenfalls gemeinsam, erfolglos den Frauen nach.
    McCandless war von diesem kleinen Städtchen schnell angetan. In dem Ort herrschte ein gewisser Stillstand der Zeit, der ihm zusagte, ebenso wie die schlichten Tugenden und die unkomplizierte Atmosphäre. Der Ort war eine Art Staustufe, an der sich menschliches Strandgut sammelte, das dem Sog des allgemeinen Trends entkommen war, und das war ihm gerade recht. In jenem Herbst entwickelte sich ein bleibendes Band zwischen ihm, Carthage und Wayne Westerberg.
    Westerberg, inzwischen Mitte dreißig, war als kleiner Junge durch seine Adoptiveltern nach Carthage gekommen. Wie so viele Menschen im Mittleren Westen ist er eine Art Alleskönner. Er bewirtschaftet eine Farm, ist ein erstklassiger Automechaniker, kennt sich im Immobiliengeschäft aus und verdient sich immer wieder mal ein Zubrot als Maschinenschlosser, Computerprogrammierer oder lizenzierter Flugzeugpilot. Nebenher springt er als Troubleshooter bei Haushaltsgeräten und Reparaturfachmann für Videospiele ein. Kurz bevor er McCandless kennenlernte, hatte ihn jedoch eines seiner vielen Talente in Konflikt mit dem Gesetz gebracht.
    Westerberg hatte sich auf einen illegalen Ring eingelassen, der »Black Boxes«, Geräte zur Dekodierung von Satellitenprogrammen, herstellte und verschob, mit denen verschlüsselte Programme empfangen werden konnten, ohne daß man einen Pfennig dafür zahlen mußte. Das FBI bekam Wind davon, schleuste einen verdeckten Ermittler als Käufer ein und nahm Westerberg in Haft. Er zeigte sich geständig, und der Anklagepunkt auf Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung wurde fallengelassen. Dennoch mußte er am 10. Oktober 1990, etwa zwei Wochen nachdem McCandless in Carthage angekommen war, eine viermonatige Haftstrafe wegen Betrugs in Sioux Falls antreten. Da Westerberg im Knast saß, gab es für McCandless keine Arbeit in den Silos, und am 23. Oktober - früher, als er es vielleicht unter anderen Umständen getan hätte - verließ der Junge die Stadt und nahm wieder sein Nomadenleben auf.
    McCandless' Zuneigung für Carthage war jedoch ungebrochen. Bevor er ging,

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