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In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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was: Er war'n lieber Junge. Richtig höflich, und er hat gar nicht geflucht und so Ausdrücke und so was gebraucht. Man hat gleich gemerkt, der kommt aus einer guten Familie. Die meiste Zeit hat er von seiner Schwester erzählt. Ich glaub, mit seinen Eltern hat er sich nicht gut verstanden. Sein Dad ist ein Genie bei der NASA, hat er mir erzählt, ein Raketenspezialist, der aber mal ein Bigamist gewesen ist - und so was ging Alex gegen den Strich. Er hat gemeint, daß er seine Eltern schon seit mehreren Jahren nicht mehr gesehen hat, seit er mit der Uni fertig ist.«
    McCandless erzählte Stuckey ganz offen, daß er den Sommer allein in der Wildnis verbringen und sich nur von dem ernähren wolle, was die Natur abwarf. »Er hat gemeint, daß er das immer schon mal tun wollte, schon seit er ein kleiner Junge war«, erzählt Stuckey. »Daß er keine Menschenseele sehen will, keine Flugzeuge, nichts, was an die Zivilisation erinnert. Er hat sich selber beweisen wollen, daß er sich allein durchschlagen kann, ohne irgendwelche Hilfe von anderen.«
    Am Nachmittag des 25. April kamen Stuckey und McCandless in Fairbanks an. Der ältere Mann ging mit dem Jungen zu einem Lebensmittelgeschäft, wo McCandless sich einen großen Sack Reis kaufte, »und dann hat Alex gemeint, daß er jetzt zur Universität raus will und nachschlagen, was für Pflanzen er essen kann. Beeren und so 'n Zeugs. Ich hab zu ihm gesagt: ›Alex, du bist zu früh dran. Da draußen liegen immer noch siebzig, achtzig Zentimeter Schnee. Da wächst noch gar nichts.‹ Aber er war fest entschlossen. Er hat richtig drauf gebrannt, endlich unterwegs zu sein und loszulegen.« Stuckey fuhr zum Campus der University of Alaska am Westrand von Fairbanks und setzte McCandless dort abends um halb sechs ab.
    »Bevor ich ihn rausgelassen hab«, erzählt Stuckey, »hab ich zu ihm gesagt: ›Alex, ich hab dich jetzt eintausend Meilen im Wagen gehabt. Ich hab dich drei Tage hintereinander durchgefüttert. Schick mir wenigstens eine Karte, wenn du aus Alaska zurück bist, das bist du mir schuldig.‹ Und er hat es versprochen.
    Ich hab ihn auch angefleht und auf ihn eingeredet, daß er seine Eltern anruft. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als einen Sohn irgendwo da draußen rumlaufen zu haben und jahrelang nicht zu wissen, wo er abgeblieben ist, nicht mal zu wissen, ob er tot ist oder lebendig.
    ›Hier hast du meine Kreditkartennummer‹, hab ich zu ihm gemeint. › Bitte ruf sie an!‹ Aber er hat nur gesagt:
    ›Vielleicht, vielleicht auch nicht.‹ Als er weg war, hab ich gedacht, Mann, warum hast du dir denn nicht die Nummer von seinen Eltern geben lassen und sie selbst angerufen? Aber irgendwie ging alles so schnell.«
    Nachdem er McCandless an der Uni abgesetzt hatte, fuhr Stuckey zurück in die Stadt, um den Caravan bei dem vereinbarten Händler abzuliefern. Als er dort ankam, erfuhr er, daß der für Fahrzeugeingänge zuständige Angestellte schon heimgegangen war und erst Montag früh wieder da sein würde. Stuckey mußte also zwei Tage lang in Fairbanks die Zeit totschlagen, bevor er nach Indiana zurückfliegen konnte. Am Sonntag morgen kehrte er zur Universität zurück. »Ich hab gehofft, daß ich Alex finde und noch einen Tag mit ihm verbringen kann, ihm die Stadt zeigen oder so was. Ich hab ein paar Stunden lang gesucht, hab mit dem Wagen die ganze Gegend abgeklappert, aber keine Spur von ihm. Er war bereits weg.«
    Nachdem er sich Samstagabend von Stuckey verabschiedet hatte, verbrachte McCandless noch zwei Tage und drei Nächte in der Umgebung von Fairbanks. Die meiste Zeit war er an der Uni. In der Buchhandlung auf dem Campus, im untersten Regal der Alaska - Abteilung versteckt, stieß er auf einen anspruchsvollen, penibel recherchierten Führer über die eßbaren Pflanzen der Region: »Tanaina Pflanzenkunde/Dena'ina K'et'una. Eine Ethnobotanik der Dena'ina - Indianer im südlichen Zentrum Alaskas« von Priscilla Russell Kari. An einem Postkartenständer in der Nähe der Kasse suchte er sich zwei Eisbärkarten aus, auf die er seine letzten Nachrichten an Wayne Westerberg und Jan Burres schrieb. Die Karten wurden vom Postamt der Universität aus abgeschickt.
    Er sah die Kleinanzeigen der Zeitungen durch und stieß auf eine Anzeige für eine gebrauchte halbautomatische .22er Remington mit einem 4x - 20er - Zielfernrohr und einem Plastikschaft. Wegen seiner Verläßlichkeit und des geringen Gewichts war das Modell mit der Bezeichnung Nylon 66, das

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