In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
Daneben hing eines, auf dem sich Mam und Ted auf einem zerschlissenen Sofa eng umschlungen hielten und in die Kamera schauten, ein bisschen verträumt, vielleicht auch leicht beschwipst, jedenfalls irgendwie nicht so ganz von dieser Welt. Beide sahen auf diesem Bild tatsächlich nicht viel älter aus als die Jungs und Mädchen aus der Oberstufe meiner alten Schule, Mam mit schwarz gefärbten Haaren, viel Kajal, glitzerndem Lidschatten und weinrotem Lippenstift, Ted in einem grässlichen Hemd und ohne Brille. Vermutlich war es auf einer Studentenparty geknipst worden, denn im Hintergrund waren verschwommen Leute zu sehen, und von rechts drängte sich ein langmähniger Typ ins Bild, der eine Grimasse schnitt und das Victory-Zeichen machte. Vielleicht war es nach genau dieser Party passiert, die paar Bier zu viel und das Missgeschick mit dem Kondom, das acht Wochen lang unentdeckt blieb. Gabi hatte sich fürchterlich aufgeregt, als sie erfuhr, dass Mam mir das erzählt hatte. Ich fand das nicht weiter schlimm, ich hatte mir nur manchmal gewünscht, eine Sommernacht am See und eine Flasche Rotwein wären am Anfang meines Lebens gestanden, das hätte ich wesentlich romantischer gefunden. Aber so war Mam eben gewesen, immer frei heraus, immer offen sagen, was Sache ist. Außerdem hat sie nicht einfach nur behauptet, sie habe nie bereut, mich bekommen zu haben, und ich sei das Beste gewesen, was ihr je passiert sei – ich hatte es immer gespürt. Bis zuletzt.
»Das da war mit Abstand der aufregendste Tag in meinem Leben.«
Meine Augen folgten Teds Zeigefinger zu einem Foto, auf dem er auf dem Rand eines Krankenhausbetts saß und mit rot geränderten Augen wacklig in die Kamera lächelte, ein rosafarbenes Bündel in den Armen, aus dem ein zerknautschtes Mini-Gesicht und schrumpelige Fingerchen herauslugten. Mam schmiegte sich an ihn, mit verquollenen Gesichtszügen, strähnigen Haaren und sichtbar groggy, aber mit einem Strahlen in den Augen. Gleich darauf blieb mein Blick an zwei gerahmten Ultraschallbildern hängen, unter denen Mams Name stand: Seemann, Karen. Ganz ähnliche Bilder klebten auch in einem von Mams Fotoalben. Auf dem einen der beiden Bilder hier war ich schon ganz gut als Baby zu erkennen, aber auf dem anderen war nur ein winziger schwarz-weißer Klecks zu sehen; seltsame Vorstellung, dass ich das einmal gewesen sein sollte. Und nicht weniger seltsam fand ich die Vorstellung, dass Mam und Ted bei ihrer Trennung offenbar auch diese Ultraschallfotos unter sich aufgeteilt hatten.
Ich grübelte gerade darüber nach, ob diese kleine Galerie vielleicht als nette Geste gemeint war, als versöhnlicher Willkommensgruß, um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen oder um bei mir Eindruck zu schinden, da sagte Ted leise: »Das war mit das Erste, was ich nach meinem Einzug hier gemacht habe – diese ganzen Bilder zu rahmen und aufzuhängen.«
Verlegen vergrub ich die Hände tief in den Taschen meiner Jeans und zog die Schultern hoch. Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, wo doch alle diese Fotos bis auf das aus jenem WM -Sommer, das Ted und mich im Europapark zeigte, eines deutlich machten: was Ted alles von mir verpasst hatte in den vergangenen fünfzehn Jahren. Fast mein ganzes Leben. Und das Einzige, was mir einfiel, war ein raues »Wo schlaf ich denn eigentlich?«.
»Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich spätabends noch arbeite«, meinte Ted, als er die Tür neben der zu seinem Arbeitszimmer öffnete. »Falls doch, müssen wir uns eine andere Lösung einfallen lassen.«
Stumm blinzelte ich in den Raum hinein, der wesentlich größer war als mein altes Zimmer zu Hause, aber sonst genauso aussah. Mein breites Bett mit dem Metallgestell war da und der Nachttisch samt Lampe, meine weißen Regale, der Kleiderschrank und mein Schreibtisch mit der roten Tischleuchte – dabei wusste ich doch, dass das alles in Deutschland zurückgeblieben war und darauf wartete, dass Gabi es entweder verschenkte oder zusammen mit ihrem Freund Heiner abbaute und zum Sperrmüll fuhr, weil das Verschiffen zu teuer gewesen wäre. Ich brauchte ein paar Augenblicke, bis ich kapierte, dass es nur die gleichen Modelle waren; sogar die lindgrünen Vorhänge waren genau dieselben.
»Karen hat mir Fotos von deinem Zimmer und die genauen Bezeichnungen der einzelnen Möbelstücke gemailt«, erklärte Ted und klang stolz, als er hinzufügte: »Ich hab hier tatsächlich alles bekommen und zusammen mit einem Kollegen von der Uni
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