In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
aufgebaut.«
Meine Brauen ruckten aufwärts. »Ihr habt hier auch IKEA ?«
Ted schmunzelte. »Nicht direkt hier in San Francisco, aber auf der anderen Seite der Bucht, in Emeryville.«
Erwartungsvoll sah er mich an. Sein Blick war mir unangenehm, und ich schaute mich weiter um, als hätte ich es nicht bemerkt. Obwohl es außer den rot glühenden Digitalziffern des Radioweckers neben dem Bett nichts gab, woran meine Augen wirklich Halt finden konnten. Meine Bücher, alles Mögliche an Krimskrams und der größte Teil meiner Klamotten schaukelten gerade irgendwo auf dem Atlantik an Bord eines Containerschiffs umher und würden erst in gut zwei Wochen hier eintreffen. Was ich nicht gleich brauchte und außerdem zu sperrig war, wie das antike Tischchen, das Mam von ihrer Großtante geerbt hatte, hatte auf Gabis Dachboden Asyl erhalten.
»Wenn du die Möbel lieber anders stehen haben willst …«, begann Ted verunsichert, und ich schüttelte rasch den Kopf. Ich hatte die Bettwäsche entdeckt, mit der Kissen und Zudecke bezogen waren, und musste mir heftig auf die Lippen beißen. Meine Lieblingsbettwäsche war es, die mit den Margeriten, die ich schon so lange besaß, dass das helle Grün des Untergrunds fast zu Weiß ausgewaschen war und sie dünne Stellen hatte. Ich war überzeugt gewesen, Mam hätte sie während des großen Ausmistens weggeworfen, das sie in Angriff nahm, nachdem auch die Spezialisten hier in den USA , denen Ted Kopien von Mams Befunden geschickt hatte, keine bessere Prognose stellen konnten als die Ärzte bei uns. Ich fand es furchtbar, Mam zwischen all ihren Sachen sitzen und sich energisch von so vielem trennen zu sehen, von dem ich immer geglaubt hatte, es bedeute ihr was. Das ist ihre Art, Abschied zu nehmen , hatte Gabi leise über ihre Teetasse hinweg gesagt, als ich bei ihr in der Küche hockte und ihr mein Herz ausschüttete. Manche machen die Reise, die sie sich immer erträumt haben. Andere beschäftigen sich plötzlich wieder mit ihrem vergessenen Glauben oder schreiben Briefe an ihre Lieben. Karen wirft eben Ballast ab, sortiert und ordnet. Sie braucht das jetzt. Nimm ihr das nicht weg. Ich hatte mich in Grund und Boden geschämt und kleinlaut Mam dabei geholfen, unser ganzes bisheriges Leben Stück um Stück aufzulösen, wie man einen abgelegten Strickpulli aufribbelt, auch wenn es mir noch so wehtat. Und irgendwie hatte sie es dabei geschafft, diese Bettwäsche an mir vorbeizuschmuggeln und nach Amerika vorauszuschicken.
Das Rattern von Kofferrädern riss mich aus meinen Gedanken. Ted hatte meinen Trolley aus dem Flur geholt und stellte ihn neben mir ab.
»Du musst völlig fertig sein«, sagte er. »Schlaf dich erst mal aus. Das Badezimmer ist gleich nebenan. Wenn du Hunger oder Durst hast – im Kühlschrank wirst du fündig, ich habe Mrs Ramirez gebeten, uns etwas zu besorgen. Oder wir bestellen uns was.«
Ich nickte halbherzig; ich hatte ihm gar nicht richtig zugehört. In der Tür blieb Ted noch einmal stehen und stieß lang gezogen den Atem aus. »Glaub mir – ich hätte es mir auch anders gewünscht. Ich dachte, du würdest mich vielleicht regelmäßig in den Ferien hier besuchen. Oder ich dich, und wir könnten uns nach und nach besser kennenlernen.« Er machte eine kleine Pause und setzte weich hinzu: »Aber ich bin trotzdem froh, dich jetzt hier bei mir zu haben.«
Ich verschränkte die Arme fest vor der Brust. Ted hatte gut reden; er war in San Francisco geboren und aufgewachsen und hatte bis auf die knapp zwei Jahre in Deutschland seine gesamte Studienzeit hier verbracht. Er war hier zu Hause, während ich hier nichts und niemanden kannte.
Nachdem sich die Tür mit einem feinen Klicken hinter ihm geschlossen hatte, atmete ich auf. Ich schleppte mich zum Bett, nahm meinen Rucksack von der Schulter und setzte ihn auf dem Boden ab. Ungeduldig riss ich den Reißverschluss des großen Innenfachs auf. Meinen Laptop ließ ich drin, ich holte nur die Plastiktüte heraus, die ich daneben verstaut hatte, und zog die zusammengefaltete Strickjacke aus türkisfarbenem Angoragarn hervor. Vorsichtig schlug ich sie auf der Bettdecke auseinander und nahm den silbernen Bilderrahmen in die Hand. Erleichtert stellte ich fest, dass das Glas den Flug heil überstanden hatte. Mam und ich, Arm in Arm, Wange an Wange, fröhlich in die Kamera lachend. Ein Foto aus dem letzten Frühjahr, mit Selbstauslöser gemacht. Nach der Schule war ich in das kleine Studio von Foto-Wolters gefahren, um sie
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