In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
fanden. Denn als gestern Abend Holly tropfnass vor der Tür gestanden hatte, weil sie auf dem Weg zu uns in einen Regenschauer gekommen war, schien sie nichts dagegen gehabt zu haben, nach einer heißen Dusche in einer aufgekrempelten Jeans und dicken Socken von mir und in einem von Dads Hoodies mit uns auf dem Sofa zu hocken, einen Film zu gucken und Pizza zu essen. Irgendwann hatte ich das Gefühl gehabt, die beiden wären lieber unter sich, so wie sie sich über meinen Kopf hinweg verstohlene Blicke zuwarfen, und schmunzelnd hatte ich mich extra früh ins Bett verkrümelt. Das Rattern der Kaffeemaschine hatte mich heute früh noch vor dem Weckerpiepsen aufwachen lassen, und als ich schlaftrunken in Richtung Badezimmer tappte, weil ich aufs Klo musste, hatte ich Dad dabei erwischt, wie er sich in T-Shirt und Boxershorts mit zwei dampfenden Bechern durch das Wohnzimmer in sein Schlafzimmer schleichen wollte. Wie angewurzelt war er stehen geblieben und rot angelaufen, bevor er mir ein verlegenes Guten Morgen zugemurmelt hatte und hinter der Tür zu seinem Zimmer verschwunden war, in dem ich auf meinem Rückweg Holly leise lachen hörte.
Ich wünschte mir wirklich, dass das mit den beiden funktionierte; denn Holly als Quasi-Stiefmom zu haben, das würde ich echt super finden. Obwohl es ja schon ziemlich schräg wäre, wenn ich daran dachte, dass sie vorher eine Bettgeschichte mit meinem besten Freund gehabt hatte.
Aber hey, das Leben war nun einmal nicht perfekt, das hatte ich inzwischen gelernt. Nichts auf dieser Welt war perfekt. Ich würde für den Rest meines Lebens eine fiese Narbe am Oberschenkel haben und eine fast genauso fiese an meinem linken Ellenbogen, die mich immer daran erinnern würden, dass ich in ein und derselben Nacht meine große Liebe und einen sehr guten Freund verloren hatte. Nach dem Unfall hatte ich in der Schule eine Menge versäumt und saß jetzt trotz Nachhilfestunden bei Matt in Mathe und anderen Hassfächern mit Abby in der Klassenstufe, während ich in meinen AP -Kursen ums Mithalten kämpfte; wenn ich einen guten Schulabschluss hinbekommen wollte, musste ich mich ranhalten. Ich würde auch nie eine echte Amerikanerin werden; die Nationalhymne des Star-spangled Banner rührte mich nicht zu Tränen und vermutlich würde ich weder die Regeln von Baseball noch die von Football jemals wirklich kapieren. Die sichtbare Armut und die vielen Obdachlosen auf den Straßen von San Francisco machten mir immer noch zu schaffen, und manchmal war mir die Stadt mit ihren vielen Autos und dem permanenten Sirenengeheul der Einsatzfahrzeuge immer noch zu laut. Aber es war die Stadt, in der ich jetzt lebte, mit ihren bunten, verspielten Straßenzügen und der orangerot leuchtenden Golden Gate Bridge. The City by the Bay , in der sich Sommer wie Winter dicker Nebel und ein kalter Wind mit freundlichen Tagen abwechselten, an denen die Sonne den Himmel aufstrahlen ließ. Eine quirlige, lebendige Stadt war San Francisco und auf eine Art war sie mein Zuhause geworden. Das hatte ich auch Oma und Opa klar am Telefon gesagt und nach langen Diskussionen hatten sie es endlich geschluckt. Vielleicht würden sie mich einmal besuchen kommen, so wie Julia es für den kommenden Sommer vorhatte. Home is where the heart is , heißt es, und mein Herz hatte definitiv hier Wurzeln geschlagen, irgendwann in den letzten sechzehn Monaten. Durch Ted, meinen Vater. Durch Matt, Holly, Abby und Shane. Und durch Nathaniel.
»Entschuldigung«, sagte eine männliche Stimme neben mir, die tief war und ein bisschen heiser klang. »Ist der Platz neben dir noch frei?«
Ich sah auf, direkt in ein Paar Augen, die grün waren. Ein tiefes, warmes Grün, fast Oliv, und mit feinen braunen Sprenkeln darin. Wie Laub im Spätsommer, kurz bevor es sich zu färben beginnt. Zu einem flächigen Gesicht mit einer schweren, kantigen Kinnlinie und einer markanten Nase gehörten diese Augen, die zu den Schläfen hin etwas abfielen. Wilde dunkle Locken in einer Farbe irgendwo zwischen Braun und Schwarz fielen ihm in die Stirn und mein Blick blieb an seinem großen, vollen Mund hängen. Nathaniel.
Mit einem erstickten Aufschrei machte ich einen Satz auf meinem Barhocker und stieß dabei den Kaffee auf dem Fensterbrett um.
Wortlos stellte der Junge, der aussah wie Nathaniel, seinen eigenen Becher ab und drehte sich um, ging zu der Service-Insel mit Zuckertütchen, Süßstoff und Rührstäbchen und kehrte mit einem Stapel Papierservietten zurück. Sein
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