In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
ich mir heute die Wimpern getuscht hatte, mit der braunen Mascara, die ich mir gestern in aller Eile bei Sephora gekauft hatte? Und eine neue Bluse hatte ich an, tailliert mit blau-weißem Karomuster, auch gestern schnell noch bei H&M vom Kleiderständer gegriffen und damit zur Kasse gewetzt. Und zum ersten Mal seit langer Zeit hatte ich wieder Lust gehabt, Schmuck zu tragen. Einen Moment lang hatte ich darüber nachgegrübelt, ob es nicht gemein von mir war, ihm so klar zu zeigen, dass ich keine Geldsorgen hatte, im Gegensatz zu ihm. Dann hatte ich mir trotzdem die feine Goldkette mit dem Anhänger in Form einer Sonne umgelegt, die ich von Gabi zu meiner Konfirmation bekommen hatte. Ich wollte so sehr, dass er mich hübsch fand.
Wenn ich bei ihm war, fühlte ich mich einfach rundum wohl. Ich konnte mich nicht erinnern, mich schon einmal einem Jungen so nahe gefühlt zu haben. Innerlich nahe, als ob etwas in uns beiden im selben Rhythmus, auf derselben Wellenlänge schwang. Selbst Lukas war mir nie so nahe gekommen, auch wenn wir eng umschlungen auf seinem Bett gelegen und stundenlang geknutscht hatten. Dabei kannte ich Nathaniel eigentlich noch nicht einmal besonders gut. Ich wusste nicht, woher er kam, was er gesehen und erlebt hatte, noch nicht einmal, wie alt er war.
Und immer blieb zwischen uns dieser kleine räumliche Abstand.
Nie versuchte Nathaniel, meine Hand zu nehmen, mich irgendwo wie zufällig zu berühren oder auch nur kumpelhaft zu knuffen. Geschweige denn mehr. Anfangs war ich froh darum gewesen, aber mittlerweile fand ich es schade, dass er so auf Distanz blieb. Denn dann hätte ich sicher gewusst, ob er mich wirklich genauso mochte wie ich ihn.
Ich rollte mich auf die Seite und kam ihm damit noch ein Stückchen näher. Wie er stützte ich mich auf, die Wange in die Hand geschmiegt. Meine andere Hand, die auf der Decke lag, war jetzt nur noch ein paar Fingerbreit von seiner entfernt.
»Ich möchte so gern mehr von dir wissen«, wisperte ich.
26
Ihr so nahe zu sein, war Himmel und Hölle zugleich.
Ich musste meine ganze Kraft aufbieten, um sie nicht ständig anzustarren. Als sie sich zu mir umdrehte und sich aufstützte, klaffte der Stoff zwischen den Knöpfen ein wenig auf. Im Ausschnitt der Bluse lag eine kleine goldene Sonne auf ihrer Haut und die dünne Kette lenkte meinen Blick auf eine pochende Ader an ihrem Hals. Ich wollte meinen Mund auf ihre Haut pressen und ihren Pulsschlag spüren, wollte spüren, wie lebendig sie war, und ein Zittern durchlief mich.
Etwas an ihrem Gesicht war heute anders als sonst. Ihre Wimpern waren dunkler, dichter und länger und ließen ihre Augen, die funkelten wie Sonnenlicht auf dem Wasser, noch größer wirken. Ihre Wangen glühten, und ich konnte fühlen, wie es sie näher und näher zu mir zog. Wie etwas an ihr mich umschmeichelte, vorsichtig, beinahe scheu und dennoch beharrlich. Als ihr kleiner Finger sich auf meinen zubewegte, fuhr ich hoch und rutschte beiseite.
Ich spürte, wie sie versteinerte, und sah aus dem Augenwinkel, dass sie sich langsam aufsetzte. Sie saß nur da und starrte ins Leere, bevor sie dann hastig zu ihren Schuhen griff.
»Ich muss gehen«, flüsterte sie tonlos.
Ich konnte sie nicht anschauen; mit gesenktem Kopf stierte ich auf meine Hände, die sich ineinandergekrampft hatten. Sie tat ein paar Schritte, dann blieb sie stehen. Ich spürte, dass sie noch etwas sagen wollte, hin und her gerissen zwischen Verwirrung, Scham, Enttäuschung und Wut, aber dann drehte sie sich einfach um und ging wortlos davon.
Als ob mein Zustand nicht schon Strafe genug war. Mir aber noch ein hübsches Mädchen zu schicken, das mich vollkommen betörte, ohne dass ich jemals richtig mit ihr zusammen sein konnte – das war Folter.
Ich wälzte mich auf meinen Bauch, auf die Stelle der Decke, an der sie eben noch gelegen hatte. Ich wünschte, sie wäre noch hier und ich könnte mich zu ihr legen und sie küssen, ebenso heftig und ungestüm wie sanft und behutsam. Damit sie am ganzen Körper fühlte, was sie für mich war.
Ich krallte mich in den Stoff unter mir und jäh schoss flammender Zorn in mir hoch. Ich hörte das Knistern, als sich ihre Bücher aufblätterten. Eins nach dem anderen flog rauschend und zischend durch die Luft, eins nach dem anderen klatschte gegen die Wand, bevor es zu Boden polterte; ein Möbelstück fiel krachend um, dann irgendwo im Haus ein zweites.
Ich hatte sie nie angelogen und doch kam ich mir vor wie ein Betrüger.
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