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In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

Titel: In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Brautpaare zu fotografieren, kam sie oft mit einem riesigen Pappteller voller Kuchen wieder nach Hause, und manchmal hat sie hinterher eine nette Karte mit Trinkgeld zugeschickt bekommen. Sie konnte einfach gut mit Menschen. Sie ist immer ganz offen auf alle zugegangen.«
    Ob das auch für Nathaniel gegolten hätte? Ich versuchte mir vorzustellen, was Mam dazu sagen würde, dass ich mich mit einem Obdachlosen angefreundet hatte. Hätte sie Nathaniel gemocht? Hätte ich ihn vielleicht mal mit nach Hause bringen dürfen? Oder wäre da selbst ihre sonst so tolerante Einstellung an Grenzen gestoßen?
    Aus dem Augenwinkel schielte ich zu ihm hin. Er trug jeden Tag dieselben Klamotten, und ich rieb beschämt das Kinn an meiner Schulter, als ich daran dachte, wie ich die ersten Male, die er hier neben mir gesessen war, verstohlen in seine Richtung geschnuppert hatte. Aber außer einem schwachen Duft, der mich an frisches grünes Moos erinnerte und ein bisschen an in der Sonne getrocknetes Treibholz, ein Duft, der genauso gut von dem vielen alten Holz in diesem Raum hier hätte stammen können, hatte ich nichts gerochen. Ich hatte schon daran gedacht, ein T-Shirt oder einen Sweater von Ted zu mopsen und Nathaniel mitzubringen; war ja gut möglich, dass das eine oder andere Kleidungsstück mal irgendwo in den Maschinen und Trocknern von Lewey/Dewey verschüttging. Ihm ein bisschen Geld zu geben, war mir auch schon in den Sinn gekommen, aber ich hatte mich dann doch nicht getraut. Ich wollte ihn nicht kränken, wo er schon jedes Mal abwehrte, wenn ich ihm von meiner Cola light und meinen Keksen anbot.
    Ich ließ mich mit dem Rücken gegen die Wand fallen und sah Nathaniel von der Seite her an. »Wir reden immer nur über mich«, wisperte ich. »Nie über dich.«
    Er löste die Finger aus seinen Locken und richtete sich auf; die Hände locker umeinandergelegt und die Unterarme auf den Knien, rieb er mit der Ferse seines Schnürschuhs über den Boden. »Da gibt es auch nichts groß zu erzählen.«
    »Hast du denn keine Familie? Eltern oder – oder Geschwister?«
    Seine Brauen zogen sich zusammen. »Ich hatte einmal so was wie Familie. Ist lange her.« Trocken klang seine Stimme dabei, fast schon spröde.
    Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte; verlegen drehte ich Mams Armbanduhr um mein Handgelenk und mein Blick fiel auf das Zifferblatt. Kurz vor sieben. Halb sieben war für freitags ausgemacht. »Oh Shit! Shit!«
    Hektisch kramte ich mein Smartphone aus dem Rucksack. Immerhin hatte Ted noch nicht angerufen oder gesimst, wo ich denn blieb; ich konnte nur hoffen, dass er noch an der Uni zu tun hatte. Hastig tippte ich eine Nachricht, dass ich unterwegs war, stopfte das Handy zurück in die Seitentasche, zerrte meine Socke hoch und zog mir die Sneakers an, bevor ich aufsprang. »Ich muss leider los!«
    Nathaniel war schon vor mir aufgestanden. »Sehen wir uns morgen?«
    »Klar!« Ich schulterte den Rucksack, dann ballte sich meine Hand zur Faust. »Mist. Morgen ist Samstag, da kann ich nicht.« Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich auch die Wochenenden hier verbracht, aber ich wollte Ted nicht misstrauisch machen. Außerdem gab er sich solche Mühe, mir die Stadt zu zeigen. »Montag wieder?«
    Nathaniel nickte und schob die Hände in die Hosentaschen.
    Bye, wollte ich mich von ihm verabschieden, aber es blieb mir im Hals stecken. Sein Blick, den er mir mit leicht gesenktem Kopf zuwarf, halb enttäuscht, halb sehnsüchtig, ging mir durch und durch. Eine wellige Haarsträhne, die sich verzwirbelt hatte, fiel zurück an ihren Platz, während er mit der Kante seines Schuhs über den Boden fuhr. Nur schwer konnte ich mich von seinem Anblick losreißen und ihm noch ein flattriges Lächeln schenken, während mein Magen Achterbahn fuhr.
    Mit Looping.
    Die Wohnungstür war nicht abgeschlossen und dahinter empfing mich der hell erleuchtete Flur. Neben dem Sideboard stand Teds Rucksack; obendrauf lagen sein Sakko und nachlässig hingeworfene und teils geöffnete Briefe. In der Küche, in der Ted sonst um diese Zeit schon mit den Vorbereitungen für das Abendessen beschäftigt war, brannte kein Licht. Ich schnitt eine Grimasse, schlüpfte aus Rucksackgurt und Sweatjacke und holte ein paarmal tief Luft; Ted sollte möglichst nicht merken, dass ich von der Franklin Street bis hierher gerannt war, anstatt irgendwo an einer Ecke aus einem haltenden Auto ausgestiegen zu sein.
    »Bin da-haa«, rief ich in die Wohnung hinein, und als

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