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In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

Titel: In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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zusammen, als ich an Nathaniel dachte.
    Drei Tage war ich nicht mehr dort gewesen, den gestrigen Samstag nicht mitgerechnet, und er fehlte mir so, dass es mir sehnsüchtig in der Magengegend zog. Ich wusste einfach nicht, was ich von ihm halten sollte. Immer wenn ich mir fast sicher war, dass er mich auch mochte, immer wenn ich überzeugt davon war, jetzt, jetzt, endlich, würde er die Hand nach mir ausstrecken, zuckte er zurück. Wie er sich am Dienstag so abrupt aufgesetzt und mich dann gar nicht mehr angesehen hatte, tat mir jetzt noch weh.
    Früher hatte ich nur ein genervtes Augenrollen für Mädchen übrig gehabt, die in einen schwierigen Typen verknallt waren und ihn mit sich spielen ließen wie mit einem Jo-Jo: Auf einen Wink des Zeigefingers durften sie heranschnurren, aber sobald sie dicht an ihm dran waren, wurden sie mit einem Fingerschnicken an der langen Leine wieder weggeschickt, an der sie dann ebenso hilflos wie hoffnungsvoll baumelten. Zum ersten Mal verstand ich diese Mädchen und es war mir selber peinlich.
    Ewig war ich gestern vor meinem Laptop gesessen und hatte mit mir gerungen, Julia oder Sandra alles zu erzählen und sie um Rat zu fragen. Aber Julias letzte Mail hatte sich nur um einen gewissen Alex gedreht, den sie auf einer Fete bei ihrer Cousine kennengelernt hatte, und Sandra hatte mir in einer endlosen Mail haarklein ihr erstes Mal mit Hannes am letzten Wochenende geschildert und dabei auch kein noch so winziges Detail ausgelassen. Dinge, die ich eigentlich über meinen früheren Kumpel nicht unbedingt wissen wollte. Bei Tee und Keksen in meinem Zimmer wäre es vielleicht was anderes gewesen. Aber in einer Mail fühlte es sich irgendwie … komisch an. Und Gabi wollte ich nicht anrufen. Ihr konnte ich nichts vormachen, sie hätte früher oder später doch aus mir herausbekommen, dass Nathaniel kein Zuhause hatte. Sie wäre sicher nicht begeistert, dass ihr Patenkind sich in einen Streuner verguckt hatte. Wäre ich wahrscheinlich auch nicht, an ihrer Stelle. Wieder einmal merkte ich, wie sehr Mam mir fehlte.
    Grüblerisch lehnte ich die Stirn an das Plexiglas und starrte auf die Stadt hinunter. Erstaunlich, wie viele Details man von hier oben noch gut erkennen konnte. Eine einladend hergerichtete und hübsch dekorierte Dachterrasse. Eine Kirche mit Doppelturm im Zuckerbäckerstil. Kinder, die auf einem umzäunten Sportplatz herumtobten. Segelschiffe, Lastkähne und Containerriesen, die sich in der Nähe und in der Ferne auf dem Wasser tummelten, und die Stahlseile der Golden Gate und der Bay Bridge. Für eine so große Stadt mit so viel Verkehr war die Luft unglaublich klar. Das helle Beige der Flachdächer und das Silber der Wolkenkratzer, das tiefe, satte Grün von Bäumen und Sträuchern, das sanfte Braun der gegenüberliegenden hügeligen Küsten und das leuchtende Blau von Himmel und Bucht – alles war heute deutlich zu erkennen, ganz ohne Nebel und Dunstschleier.
    Und seltsam, wie sich die Sicht veränderte, je länger man von so hoch oben hinabschaute. Nicht nur auf die Stadt. Vielleicht war mein Problem gar nicht so groß, wie ich dachte. Vielleicht hatte ich es selbst in der Hand, endlich Klarheit zu schaffen. Morgen, versprach ich mir selbst. Morgen werd ich’s wissen. Morgen muss ich es wissen.
    »Was meinst du«, sagte Ted in meine Gedanken hinein, »sollen wir morgen zum Fisherman’s Wharf hinunter und die Seelöwen dort angucken? Ist zwar voller Touristen, aber trotzdem ganz schön.«
    Irritiert sah ich ihn an. »Musst du morgen nicht an die Uni?«
    »Ich hab doch Ferien«, erwiderte er mit einem Augenzwinkern. »Genau wie du.« Ups. Richtig. Spring Break, die Frühjahrsferien, in denen die Universität genauso dicht war wie die Jefferson High. »Oder hast du schon was vor?«
    Ich senkte den Kopf und tappte mit der Spitze meines Sneakers über den Betonboden. Einen Tag würde ich es doch noch aushalten. Ein Tag ohne Nathaniel. Ein Tag der Ungewissheit. Nur einen Tag. Einen einzigen, lächerlichen Tag.
    »Eigentlich wollte ich lernen«, murmelte ich.
    »Damit kannst du auch noch übermorgen anfangen. Du hast dir die Ferien wirklich verdient.«
    Im totalen Blindflug hatte ich Mitte März die Orientierungsprüfungen geschrieben, für die ich abends an meinem Schreibtisch gepaukt hatte. Nur halbherzig und auch nur mit halbem Hirn, weil ich immerzu an Nathaniel denken musste. Meine Ergebnisse waren nicht glänzend gewesen, aber trotzdem besser als erwartet, ein A in

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