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In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

Titel: In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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»Aber dich umarmen – das kann ich nicht.«
    Ich schluckte meinen ganzen Stolz hinunter und mir wurde schlecht dabei. »Kannst du wirklich nicht oder willst du einfach nicht?«
    »Ich kann nicht«, wiederholte er. Seine Augen wirkten starr, fast gläsern.
    Ich versuchte, tapfer zu sein. Erwachsen. Wie ich es die ganzen Monate zuvor gelernt und geübt hatte. Ich zerrte meine Hände aus den Hosentaschen und ging langsam auf ihn zu. Es gab mir einen Stich, als ich sah, wie er sich vom Türrahmen löste und einen Schritt zurück machte.
    »Ich weiß so gut wie nichts über dich«, sagte ich leise und hoffte, ich klang nicht allzu sehr wie eine Jasmintee trinkende Sozialpädagogin. »Aber ich vermute mal, du hast Schlimmes durchgemacht. Und ich versteh auch, wenn dir das schwerfällt, hier, mit mir, und …«
    »Bleib, wo du bist!«, stieß er hervor, ein heiseres, fast drohendes Grollen in der Stimme.
    Als hätte er mir eine Tür vor den Kopf geknallt, so fühlte es sich an; ich kam mir unglaublich dämlich vor. Erst mal konnte ich ihn nur stumm anstarren, dann schoss mir das Blut ins Gesicht.
    »Das machst du schon die ganze Zeit!« Meine Stimme zitterte. »Du lässt mich ganz nah an dich heran und im letzten Moment kneifst du dann. Hast du eine Ahnung, wie sich das für mich anfühlt?!«
    Er konnte mir nicht mal in die Augen sehen.
    Ich wollte mich abwenden, ihn einfach stehen lassen und nie wiederkommen. Dann musste ich an Lukas denken, der nicht mal genug Mumm in den Knochen hatte, um mir am Telefon, in einer Mail oder auch nur per SMS mitzuteilen, dass es aus war zwischen uns.
    »Du bist doch echt das Letzte!«
    Ich wirbelte herum und stürzte auf Nathaniel zu. Ich wollte ihn boxen, ihn schubsen, ihn stoßen, damit ich wenigstens ein einziges Mal erlebte, wie er sich anfühlte. Seine Schulter zuckte zurück, er wollte mir ausweichen, aber er war zu langsam, ich zu schnell.
    Meine Fäuste trafen nicht auf Muskeln und Knochen. Sie versanken in etwas, das sich anfühlte wie dicker, zäher Nebel. Wie Spinnweben, in denen Morgentau hing. Halb noch im Sprung geriet ich ins Wanken und starrte auf meine Hände, über die sich eine blasse, durchscheinende Version von Nathaniel zog wie die Projektion eines Beamers.
    »Es tut mir leid«, hörte ich ihn flüstern. »Es tut mir so leid.«

29
    Ich erinnerte mich nicht mehr an viel von früher. Aber ich wusste genau, dass mich noch nie etwas so gequält hatte wie das Grauen in ihrem Gesicht. Wie sie mit aufgerissenen Augen auf ihre Hände starrte, sie öffnete, wieder zusammenballte und wieder öffnete, sie zitternd durch mich hindurchbewegte und dabei unentwegt den Kopf schüttelte.
    »Es tut mir leid«, wiederholte ich und strich ihr über die Wange. Meine Berührung ließ ein paar Strähnen ihres Haares aufflattern, und unter einem heftigen Schaudern flog ihr Kopf zu Seite, als hätte ich sie geschlagen. Schreckensstarr taumelte sie zurück und wischte angeekelt die Finger an ihrer Jacke ab. Ich konnte die Welle schwarzen Entsetzens spüren, die über sie hereinbrach und ihr den Boden unter den Füßen wegspülte.
    »Wer oder was bist du?«, krächzte sie mir entgegen.
    Ich bin tot, Amber. Lange schon. Eine verlorene Seele. Dazu verdammt, als Schatten unter euch Lebenden gefangen zu sein. Und ich weiß nicht einmal, weshalb.
    Kein Wort davon brachte ich heraus. Nicht, solange sie schlotternd vor mir stand, die Hände unter ihre Achseln geklemmt und die Augen riesig in dem kreidebleichen Gesicht.
    »Was auch immer du bist«, schluchzte sie in nackter Angst, »bleib weg von mir! Hörst du?! Bleib weg!«
    Sie torkelte herum und stolperte vorwärts; dann rannte sie durch den Korridor aus dem Haus hinaus. Und wie in einem Strudel riss sie alles an Licht und Lebendigkeit, was sie hierhergebracht hatte, mit sich fort.
    Meine Faust donnerte gegen die Wand neben mir, gleich darauf die andere, und ich hieb mit der Stirn gegen das Holz. Einmal, zweimal, zigmal. Ich wollte Schmerz fühlen, stechenden, pochenden, überwältigenden Schmerz, aber alles was mir wehtat, war irgendwas tief in mir. Ein Flüstern hob an, ein Brausen; hinter mir konnte ich die Bücher durch die Luft zischen hören und das dumpfe Flattern der weichen Decke. Die beiden Flaschen krachten gegen Decken und Wände, versprühten fauchend und sprudelnd ihren Inhalt durch den Raum.
    Kraftlos öffneten sich meine Finger und glitten durch das Holz der Wand bis in das Mauerwerk dahinter, und ich sank zu Boden. In mir

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