In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
manchmal dazwischen das Bimmeln der Glocke oder eine Hupe.
Meine Augen glitten über das Regal, das die komplette Wand auf der linken Seite einnahm und vom Boden bis zur Decke mit Büchern vollgestopft war. C. G. Jung. Grimms Märchen. Frazers Goldener Zweig , der auch irgendwo bei Ted im Regal stand. Sigmund Freud. Natürlich. Viele, viele Romane, teils druckfrisch, teils schon komplett zerfleddert. Bücher über Mythen, Psychologie im Allgemeinen, Psychoanalyse im Speziellen und über Physiologie. Eine Reihe Bilderbücher gab es und eine mit englischen und amerikanischen Klassikern, riesige Kunstbildbände, Biografien.
Vor den Buchrücken stand allerlei Schnickschnack in den Regalfächern herum. Wie die goldene Uhr unter Glas, große Muscheln und bizarr geformte Kiesel, ein Insekt in einem Stück Bernstein und an die Bücher angelehnte Kunstpostkarten. Tierfiguren und Buddhas aus Glas, Porzellan, Metall und Stein. Eine kleine Gipsbüste von Shakespeare, eine geblümte Teetasse mit Goldrand, ein ägyptischer Skarabäus und eine Fingerpuppe aus weißem Filz, gerade groß genug für einen Kinderfinger, in Gestalt eines Gespenstes. Nicht witzig.
Ein schabendes Geräusch und eine Bewegung, die ich aus dem Augenwinkel wahrnahm, ließen mich den Kopf drehen. Im Sessel unter dem Fenster gegenüber, dem exakt gleichen hellblauen Sessel wie der, in dem ich herumlümmelte, hatte Dr. Katz das linke Bein über das rechte geschlagen, statt wie vorher umgekehrt. Sehr groß und sehr dünn, in hellen Jeans und einer Seidenbluse, auf der sich riesige Hibiskusblüten ausbreiteten, musterte sie mich aufmerksam.
Dr. Elsa Katz. Die Psycho-Tante. Mein Shrink .
Ich konnte überhaupt nicht einschätzen, was sie über mich dachte; ihr schmales, fast hageres und ungeschminktes Gesicht wirkte ausdruckslos. Genausowenig konnte ich einschätzen, wie alt sie war. So um die vierzig, hatte ich mir überlegt, vielleicht auch ein bisschen älter, obwohl ich in den blonden Strähnen ihres schicken Fransenschnitts kein Grau entdecken konnte. Ihr Blick löste sich von mir und senkte sich auf das Klemmbrett auf ihren Knien, und rasch machte sie sich mit ihrem Kuli ein paar Notizen; dabei hatte ich überhaupt nichts gesagt. Eigentlich sagte ich überhaupt nie was außer einer kurzen Begrüßung, seitdem ich in der ersten Sitzung ein paar Fragen zu Mam, Ted und mir kurz und knapp beantwortet hatte.
Mein Blick wanderte auf die andere Seite, über den antiken Schreibtisch neben der zweiten Tür des Raums, zu dem der hypermoderne Laptop und der Gesundheitshocker ebensowenig passten wie die futuristische Stehlampe dahinter. An der asiatischen Dämonenmaske in Rot und Gold an der Wand blieb ich hängen; ihre aufgerissenen Augen schienen mich anzustarren, und ich fragte mich, ob sie mich mit ihrem aufgeklappten, spitzzahnigen Maul auslachte oder mich verschlingen wollte.
»Die stammt aus Bali.« Dr. Katz hatte eine Stimme, die gleichzeitig weich und fest klang. »Sie fasziniert dich, nicht wahr?«
Ich fühlte mich ertappt und sah schnell weg. »In Teds Arbeitszimmer hängt auch so eine.«
Mein Blick pendelte unschlüssig hin und her, zwischen dem hochbeinigen Tischchen neben mir, auf dem eine einsame Kleenexbox stand, und seinem Gegenstück neben dem Sessel von Dr. Katz, das mit einer ganzen Arche Noah von Glastierchen vollgestellt war.
»In Teds Arbeitszimmer«, wiederholte Dr. Katz. »Warum nicht zu Hause oder bei uns ? Und warum Ted und nicht mein Vater ?«
Ich zuckte mit den Schultern und begann die roten, blauen und weißen Farbkreise auf dem Teppich zu zählen.
»Bist du wütend auf deinen Vater, Amber? Weil er dich hierhergeholt hat?«
Ich blinzelte vor mich hin. Ted war so fürsorglich gewesen nach meinem Zusammenbruch heute vor einer Woche. Hatte mir die Sneakers ausgezogen, mir eine Wärmflasche und einen Tee gemacht und danach herumtelefoniert. Bis er einen Termin für den nächsten Tag hier in der Praxis von Dr. Katz vereinbart hatte, im zweiten Stock eines kleinen weißen Hauses, das in einer Reihe mit anderen hübschen pastellfarbigen Häuschen stand. Allesamt gleich altmodisch und auf zierliche Weise elegant, halb verborgen hinter einer Reihe dicht belaubter Bäume in der California Street, ein paar Blocks von uns in Richtung der Wolkenkratzer des Financial District. Dort, wo die California Street steil hinabrauschte und ein Stückchen weiter Chinatown durchschnitt, sodass man nicht nur eine hohe Pagode auf der rechten Seite sah,
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