In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
Hand entgegenstreckte, blinkte auch in ihrer Zunge eine winzige Metallkugel auf. »Hi, ich bin Holly.«
»Hi«, murmelte ich und starrte abwechselnd auf den tätowierten Sternchenregen, der sich über ihre andere Schulter zog und auf das Stück nackter Haut zwischen Tanktop und Hosenbund, auf dem sich das eintätowierte Ende eines Drachenschwanzes um den mit einem Glitzerstein gepiercten Nabel ringelte; der Rest des Drachens musste sich wohl irgendwo auf ihrem Rücken verstecken. Sie hatte etwas von einer Elfe auf Ecstasy und versprühte dabei so viel Sex-Appeal, dass ich mir daneben wie eine blässliche Zehnjährige vorkam. Im Matrosenkleidchen.
»Sollen wir gleich hochgehen?« Holly reckte sich über den Schreibtisch, fuhr den Laptop herunter und schnappte sich von der Stuhllehne einen schwarzen Pulli, der so unregelmäßig und grob gestrickt war, dass er mehr aus Löchern als aus Garn bestand. »Heute kommt sicher ohnehin keiner mehr.« Sie warf sich eine Umhängetasche aus verwittertem braunem Leder über die Schulter, aus der sie einen großen Schlüsselbund angelte, bevor sie die Meditationsmusik aus dem Ghettoblaster neben dem Schreibtisch abstellte, indem sie mit der Kappe des Springerstiefels dagegenkickte. »Dann können wir in Ruhe reden.«
35
Hinter dem Eingang um die Ecke des Backsteinhauses brachte uns ein altersschwacher Lift in den vierten Stock, und Holly schloss die Wohnungstür auf, von der die Farbe in dicken Spänen abblätterte.
Das Apartment war zwar nicht viel größer als eine Schuhschachtel, aber es wirkte irre gemütlich und gefiel mir; so was wollte ich später auch mal gern für mich. Auf der linken Seite des winzigen Flurs konnte ich in ein Zimmer schauen, dessen Wände in einer tollen Nuance irgendwo zwischen Gelb und Orange gestrichen waren; die halb zugezogenen pinkfarbenen Chiffonvorhänge mit viel Goldgeglitzer vor dem Fenster kamen davor super zur Geltung. Über die ganze Länge einer Wand zog sich ein dunkles Holzregal, in das neben allerlei Krimskrams jede Menge zerlesener Bücher gequetscht waren. Auf dem Boden um das mit rotem Satin bezogene und noch ungemachte Futonbett verteilten sich aufgeschlagene und übereinandergestapelte Bücher, und in einer Ecke lehnte eine zusammengerollte Yogamatte. Am Ende des Flurs quoll unter einem Vorhang mit schwarz-weißem Tigermuster ein wildes Durcheinander aus schrillem Schuhwerk hervor, und die Tür rechts davon führte wohl ins Badezimmer, während hinter der zweiten die Küche lag, in die uns Holly nun hineinbugsierte.
»Magst du auch einen Tee?« Als ich nickte, pfefferte sie Umhängetasche und Pulli mitten auf den abgeschabten Tisch und begann unter Geklapper mit dem Wasserkocher und diversen Blechdosen aus dem Regal über dem Herd zu hantieren. »Honey?«
Matt machte ein würgendes Geräusch »Bleib mir vom Leib mit deinem Kräutergesöff!« Er riss das knallrote Ungetüm von Kühlschrank unmittelbar hinter dem Türrahmen auf; die von bunten Magneten und bekritzelten Post-Its übersäte Kühlschranktür ragte dabei so weit in den Raum hinein, dass bis zur gegenüberliegenden Wand nicht mehr viel Platz blieb. Von Matt waren dahinter nur noch die Sneakers und ein Stück seiner Baggypants zu sehen, während er im Kühlschrank herumkramte. »Hast du eigentlich nie was Essbares da drin?«
»Hallo-ho! Sieht das hier etwa aus wie das Fairmont?«, gab Holly ungerührt zurück, goss das kochende Wasser in eine Keramikkanne und fügte halb patzig, halb zärtlich hinzu: »Geh doch zu Mami, wenn dir das hier nicht passt! Da kriegst du dein Chop Suey und eine Schüssel Reis dazu!«
Matt lachte und tauchte mit einer kleinen Flasche Cola wieder hinter der Kühlschranktür auf, die er kräftig zuschlug. Erst als er sich einen Stuhl heranzog und sich draufsetzte, ließ ich mich auf einen zweiten Stuhl gegenüber von ihm sinken.
»Hier, Süße.« Holly stellte mir einen dampfenden Becher Tee hin, bevor sie das Fenster aufriss, ihre eigene Tasse neben den Aschenbecher auf das Fensterbrett platzierte und sich dann mit einer Zigarettenschachtel in der Hand hinaufschwang. Ich sah ihr zu, wie sie sich eine Zigarette anzündete, genussvoll inhalierte und den Rauch zum Fenster hinausblies.
»Kannst du wirklich hellsehen?«, fragte ich leise.
Hollys Augen wurden noch größer und runder, als sie mich verblüfft ansah, dann lachte sie ihr raues, heiseres Lachen, das ganz tief unten aus ihrem flachen Bauch zu kommen schien. »Geeez, nein, Herzchen!
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