In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
junges Publikum; ein paar Jungs und Mädchen saßen vor ihren Laptops und Netbooks herum, Studenten vielleicht oder Kreative; am Tisch hinter uns entdeckte ich ein Liebespaar, das sich immer wieder an den Händen fasste und dabei tief in die Augen sah. Ich sah schnell weg und fixierte lieber die Muffins unter Glas.
»Was hat dir gestern solche Angst gemacht?«
Mein Kopf flog herum, und ich starrte Matt an, der weiterhin auf die Straße hinausblickte.
»Ich … ach«, ich winkte fahrig ab, »ich hab mich nur erschrocken, das war alles.« Angestrengt schaute ich auf meinen Becher hinunter und senkte den Kopf noch tiefer, als ich Matts Augen auf mir spürte.
Seine Knie wippten heftiger. »Ich gehe gern in die Grace Cathedral. Ist ein guter Ort zum Nachdenken.« Er machte eine kleine Pause und fügte dann leiser hinzu: »Und ein Ort, an dem ich mich sicher fühlen kann.«
Ich spähte unter meinen Haaren hervor. »Wie, sicher? Wovor?«
Matt trank einen Schluck, dann drehte er sich auf dem Hocker zu mir um, sodass ich freien Blick auf Kurt Cobains zerknittertes Gesicht auf dem übergroßen T-Shirt unter der Kapuzenjacke bekam; mit den Fingern trommelte er einen flotten Beat gegen die Pappwand des Bechers. »Glaubst du an Übersinnliches?«
»N-nein«, stotterte ich und schob übermäßig heftig hinterher: »Natürlich nicht! Ist doch alles Quatsch!« Ich kippte einen großen Schluck Kaffee hinunter, der mir die Zunge und den Rachen verbrühte.
Seine Knie hielten plötzlich still und mit versteinerter Miene fixierte Matt den Becher in seinen Händen. Nur seine Brauen waren ständig in Bewegung, bis er mir zuraunte: »Du siehst sie auch, oder?«
Mir blieb der Mund offen stehen und Matt sah mir direkt in die Augen. Und wie seine Augen gleich darauf aufglänzten, zeigte mir, dass ich mich verraten hatte. Denn jeder andere hätte verständnislos Wen oder was sehen? zurückgefragt. Wie ein Losungswort hatte seine Frage geklungen, und mein Schweigen, vielleicht auch ein bestimmter Ausdruck auf meinem Gesicht, hatten mich sofort in einen Kreis aufgenommen, von dem ich wenige Sekunden vorher nicht einmal gewusst hatte, dass er existierte.
Ein breites Grinsen dehnte sich auf seinem Gesicht aus; er hüpfte vom Hocker herunter und schnappte sich seinen Rucksack. »Komm mit! Es gibt da jemanden, den du unbedingt kennenlernen musst!«
»Wo gehen wir denn hin?!«, wollte ich nun schon zum ungefähr siebzehnten Mal von Matt wissen, als ich ihm die Sutter Street hinterherlief, die von hier aus leicht anstieg. Matt hatte zwar kürzere Beine als ich, aber auf denen war er verdammt schnell.
»Wirst du schon noch sehen!«, gab er darauf grinsend immer dieselbe Antwort.
Die dreispurige Einbahnstraße mit den mageren Bäumchen führte zwischen mehrstöckigen Häusern hindurch, über die sich die Zickzacklinien der Feuerleitern zogen; wie überall in der Stadt säumten weiß lackierte Hydranten in Abständen den Straßenrand und gurrende Tauben pickten in den achtlos weggeworfenen Abfällen herum. Mehrere Hotels mit klangvollen Namen reckten ihre Markisen und stoffbezogenen Vordächer bis an den Rand des Bürgersteigs hinaus. Parkhäuser wechselten sich mit winzigen Galerien, schick aussehenden Restaurants – chinesisch, japanisch, französisch, mehrfach italienisch – und Klamottenläden ab; auf der linken Seite konnte ich auf einem Schild und den schwarzen Markisen Academy of Art University lesen.
Die Namen der Querstraßen gaben mir zwar eine ungefähre Ahnung, auf welcher Breite wir uns bewegten, aber das sagte nichts über die Gegend aus; nicht in einer Stadt, in der die Straßen so lang waren, dass sie nicht selten von den Piers bis weit über Downtown hinausreichten oder von der Bay quer bis zum Presidio oder dem Golden Gate Park.
Hinter der Jones sah die Sutter Street nicht mehr ganz so nobel, sondern mehr nach Künstlerviertel oder gar Halbwelt aus, mit mehreren Pubs und Spirituosenläden. Gleich hinter einer weiteren Markise mit Academy of Art University waren die Fenster mit verblichen rotem Stoff verhängt und eine rote Leuchtreklame verkündete Sauna – Spa – Massage – Jacuzzi; die Ladenfront sah dabei aber kein bisschen nach klassischer Wellnessoase aus, sondern vielmehr reichlich verrucht. An einer Reinigung kamen wir vorbei und an einem etwas schäbig wirkenden Lebensmittelladen namens Alberto’s, dann blieb Matt endlich stehen, vor dem letzten Haus des Straßenblocks.
Im Erdgeschoss des Hauses aus
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