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In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

Titel: In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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unnachahmlich charmanten Art«, Holly warf ihm einen kessen Blick unter flatternden Wimpern zu und drückte den Zigarettenstummel im Aschenbecher aus, »eigentlich sagen wollte … Er war damals zweimal schon so gut wie über den Jordan und sie mussten ihn zurückholen.« Sie schob die Hände unter die Oberschenkel und baumelte sacht mit den Beinen. »Es ist selten, dass es schon in der Kindheit anfängt wie bei Matt. Bei den meisten, von denen ich gehört habe, hat sich diese Fähigkeit irgendwann zwischen dreizehn und achtzehn entwickelt, nach einem einschneidenden Erlebnis genau in dieser Zeit. Entweder durch eine eigene Nahtoderfahrung oder durch besonders große Nähe zu einem Todesfall. Vielleicht weil dieses Alter genauso der Übergang zwischen Kindheit und Erwachsenenalter ist wie die Geister im Übergang zwischen Diesseits und Jenseits festhängen. Und …«
    »Ambers Mom ist vor einiger Zeit gestorben«, rief Matt dazwischen und ignorierte meinen wütenden Blick.
    »Scheiße.« Holly sah mich mit aufrichtiger Bestürzung an. »Woran?«
    »Hirntumor«, flüsterte ich. Hollys deftige Reaktion, ihre ganze direkte, unverblümte Art machte es mir irgendwie leichter, es auszusprechen, und ich fügte hinzu: »Glioblastom.«
    »Scheiße«, wiederholte Holly mit gerunzelter Stirn und zuppelte eine weitere Zigarette aus der Schachtel.
    Matt starrte mich unverhohlen neugierig an. »Warst du dabei, als sie starb?«
    Das freundlich hergerichtete, aber trotzdem trostlose Zimmer im Krankenhaus. Der halb dumpfe, halb beißende Geruch nach Desinfektionsmitteln und Medikamenten. Mams Finger, die sich eisig in meiner Hand anfühlten. Mam, die gar nicht mehr so aussah wie meine Mam, nur noch gelbliche Haut und Knochen, ihr Gesicht scharf und spitz wie das eines Vogels. Ein stumpfer, erstickender Geruch nach Krankheit und Tod. Mams Atem, der unregelmäßig ging, dann in größeren Abständen kam und irgendwann gar nicht mehr. Gabi, die die Arme um mich legte und weinte, und Ted, seine Wangen nass und die Augen rot gerändert hinter der Brille, der mich an sich zog und festhielt. Das erste Mal seit langer Zeit, dass ich es ihm erlaubt hatte. Und das letzte Mal.
    Meine Augen brannten plötzlich; mein Magen drehte und krümmte und wand sich, und ich schnappte nach Luft. Ich hustete und würgte und zitterte, versuchte krampfhaft, mich nicht in Hollys Küche zu übergeben.
    »Fuck! Mensch, Matt!«, hörte ich sie rufen und vom Fensterbrett herunterspringen, dann irgendwo herumkramen; im nächsten Moment legte sich ein Arm um meine Schultern und ein scharfer, aber frischer Geruch stach mir in die Nase und prickelte bis weit hinter die Stirn hinauf.
    »Schön langsam atmen«, murmelte Holly neben meinem Gesicht. »Ein. Und aus. Ein. Und wieder aus. Und wieder ein. Besser?« Ich nickte; sie rieb mir über den Rücken und legte ihre Schläfe gegen meine, als sie mich kurz an sich drückte. Unter dem Zigarettenrauch roch sie gut, ein bisschen nach Vanille und Räucherstäbchen. »Armes Schnecklein«, raunte sie, rubbelte mir noch einmal über die Schulter und stand auf. Heftig setzte sie das Glasfläschchen, das sie mir unter die Nase gehalten hatte, auf dem Tisch ab und raufte Matt unsanft die ketchuproten Haare. »Manchmal bist du echt ein unsensibler Klotz!«
    Treuherzig sah er sie von unten herauf an. »Aber nur manchmal!« Dann schickte er mir ein verlegenes Grinsen entgegen. »Sorry!«
    Ich griff zu meinem Rucksack. »Ich … ich muss dann mal los. Danke für den Tee.«
    »Ich bring dich nach Hause.« Matt sprang auf, aber Holly hielt ihn an einem Zipfel seiner Kapuzenjacke zurück.
    »Nein, Honey! Du bleibst schön hier. Ich glaube, Amber muss jetzt ein bisschen allein sein. Oder nicht?« Ein warmer Glanz lag in ihren braunen Augen, der das Rosa ihrer Igelfrisur noch heller und fluffiger wirken ließ und ihr Gesicht mit der gepiercten Nase und den zigfach durchstochenen Ohrmuscheln weniger taff als vielmehr ganz weich und lieb, und ich nickte.
    »Ja, okay.« Matt versenkte die Hände in den Taschen seiner Baggypants, »aber vielleicht … äh … magst du irgendwann mit mir in der Schule zu Mittag essen. Montag oder so?«
    Meine Schulbücher und Mitschriften lagen immer noch unberührt vor mir auf dem Schreibtisch, genauso wie ich sie nach dem Abendessen hingelegt hatte. Untätig war ich trotzdem nicht gewesen; in den vergangenen Stunden hatte ich das Internet nach den Schlagwörtern Geist (laut Google Ungefähr 126.000.000

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