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In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

Titel: In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Ich hab keinerlei übersinnliche Fähigkeiten. Nur eine verdammt gute Menschenkenntnis und Spaß an der Schauspielerei. Und ich verdiene damit wesentlich mehr, als wenn ich ungezogenen Bälgern die Haare schneide und ihren nervigen Müttern Strähnchen verpasse!«
    »Trotzdem kenne ich niemanden, der so viel über diese Dinge weiß wie Holly.« Matt warf ihr einen warmen Blick zu, für den sie sich revanchierte, indem sie die Lippen spitzte und ihm ein schmatzendes Küsschen durch die Luft zuschickte, bevor sie wieder an ihrer Zigarette zog.
    Sie blies den Rauch über ihre Schulter hinweg nach draußen, schaukelte mit den überkreuzten Springerstiefeln und musterte mich interessiert. »Du kannst also auch Geister sehen, ja?«
    Ich wich ihrem Blick aus. »Ich … ich weiß es nicht.« Verlegen nippte ich an meinem Becher; der Tee schmeckte gut, ein bisschen nach Minze und nach getrockneten Blüten und Früchten.
    »Ich war mir da lange auch nicht sicher«, sagte Matt zwischen zwei Schlucken seiner Cola. »Erstens, weil ich damals noch ziemlich klein war. Zweitens, weil es erst nicht so oft vorkam – und drittens, weil ich lange glaubte, ich hätte einfach nur eine Schraube locker.«
    Ich versenkte meinen Blick tiefer in der Tasse.
    »Warum sich letztlich dieses Tor in der Wahrnehmung öffnet«, meinte Holly und schnippte die Asche zum Fenster hinaus, »warum manche Menschen Geister sehen können und andere nicht, ist nicht ganz klar, darüber weiß man einfach zu wenig. Denn unbewusst die Anwesenheit von Geistern spüren, das können die meisten Menschen. Nicht umsonst gibt es Orte, von denen es heißt, dort würde es spuken.«
    »Wie Alcatraz«, warf Matt grinsend ein. »Eine Million Touristen jedes Jahr können nicht irren!«
    Holly schmunzelte, blickte dann aber wieder ernst drein. »Dass jemand mit dieser Gabe auf die Welt kommt, ist extrem selten, und auch, dass er sie erst im Erwachsenenalter entwickelt. Zum Glück, kann man da wohl nur sagen.« Ihre fein gezeichneten Brauen zogen sich zusammen. »Ich hatte mal einen Nachbarn, Ray, dem genau das passiert ist. Er hat’s nicht verkraftet und ist total abgestürzt. Hat dann auf der Straße gelebt und sich schließlich in ein Koma gesoffen, aus dem er nicht mehr aufgewacht ist.«
    Tolle Aussichten, wirklich. Ich umklammerte den Becher in meiner Hand fester.
    »Das war für mich der Auslöser, mich näher mit diesen Dingen zu beschäftigten.« Nachdenklich betrachtete Holly die Glut ihrer Zigarette. »Es scheint, als würden intensive Erfahrungen mit dem Tod das Bewusstsein schlagartig so schärfen, dass dieses Tor fast von einem Tag zum nächsten aufgeht.«
    »Ein bisschen ist es dann so wie mit anderen Gaben«, fuhr Matt fort und kratzte mit dem Daumennagel an der Flasche herum. »Wie musikalisches oder künstlerisches Talent. Man muss sie entwickeln und üben. Zuerst merkt man vielleicht nicht mal den kühlen Luftzug, oder es ist einem nicht bewusst, was das bedeutet, wenn es einem kalt über den Rücken rinnt. Und die meisten Geister sehen auf den ersten bis dritten Blick ja nicht viel anders aus als unsereins. Wenn sie dann allerdings zeigen, was sie drauf haben …« Matt schüttelte sich, grinste dann aber, während es mir flau in der Magengegend wurde.
    »Seit … seit wann kannst du …« Ich brachte es nicht über mich, es auszusprechen.
    Matt kaute so heftig auf seiner Unterlippe herum, dass sich sein Goatee auffächerte, und drehte dabei den Deckel der Plastikflasche erst zu, dann wieder auf, dann wieder zu. »Ich weiß es gar nicht so genau. Als ich sechs war, lag ich eine Weile im Krankenhaus. Mit Leukämie. Sah überhaupt nicht gut aus für mich. Ich hab dann doch gerade noch so die Kurve gekriegt – und danach hat es irgendwann angefangen. Wie gesagt: Ich hab mir erst mal gar nicht so viel dabei gedacht.« Er grinste ironisch. »Aber meinen Eltern hab ich einen Riesenschrecken eingejagt, als ich davon erzählt habe. Bis ich gelernt hatte, solche Sachen für mich zu behalten, dachten Mom und Dad, die Chemo hätte mein Hirn weich gekocht. Der alte chinesische Geisterglaube ist in ihrer Generation irgendwie verloren gegangen, nur meine Granny glaubt noch an so was.« Er drehte den Deckel wieder ab, setzte die Flasche an und zwinkerte mir darüber hinweg zu. »Immerhin gibt’s aus dieser Zeit im Krankenhaus die denkbar geilsten Alien-Fotos von mir, mit kahlem Kopf, aufgeschwollenem Gesicht und Schläuchen überall.«
    »Was Matt in seiner

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