In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
besser!« Er klang nicht sonderlich überzeugt.
»Tut mir leid, dass ich eine solche Plage bin«, flüsterte ich; irgendwie war ich heute weniger auf Krawall gebürstet als sonst.
Er blinzelte mich durch seine Brille hindurch an. »Du bist doch keine Plage! Das ist ein bisschen so wie damals, als du gerade geboren warst und uns nachts ganz schön auf Trab gehalten hast.«
Meine Augenbrauen rutschten hoch.
Ein zerknirschtes Grinsen deutete sich auf seinem Gesicht an. »Schlechter Vergleich?«
Ich musste schmunzeln. »Ziemlich.« Mein Fußballen rieb über den Holzboden. »Sag mal, hast du unter deinen ganzen Büchern vielleicht auch welche über … hm … Geister?«
»Ja, sicher.« Er stand auf und ging zu einem der Regale. »Für die Schule?« Ich brummelte etwas in mich hinein, das zustimmend klingen sollte. »Spannendes Thema. Was Allgemeines oder was Spezielles?«
»Öhm. Vielleicht erst mal allgemein?«
Ich folgte ihm und ließ verstohlen meine Augen über die bizarren Statuen und die Glasbehältnisse in den Vitrinen wandern, über die Pfeilspitzen und die Tontöpfe. Die Amulette, die mich an diejenigen in Hollys Laden erinnerten. Ich wandte mich wieder Ted zu und beobachtete, wie er mit schräg gelegtem Kopf seine Finger über die Buchrücken wandern ließ.
Eigentlich wusste ich gar nicht so genau, was er als Anthropologe machte; Mam hatte es mir zwar ein paarmal erklärt, aber erst war ich noch zu klein gewesen, und später hatte es mich nicht mehr wirklich interessiert. Ich hatte immerhin mitbekommen, dass er das Alltagsleben der Völker auf dieser Welt erforschte und dokumentierte, mit den Menschen Interviews führte, in denen er sie nach ihren Gedanken, Gefühlen und Überzeugungen befragte, und das Ganze mit anderen Völkern verglich, um zu erforschen und zu verstehen, wie sich einzelne Kulturen, aber auch die gesamte Menschheit entwickelt hatten.
Als er mir das erste Buch reichte, fiel mein Blick auf das Wandstück zwischen der Regalkante und dem Fenster. Ted hatte neulich im Supermarkt einen ganzen Stapel Bilderrahmen gekauft und inzwischen noch mehr Fotos gerahmt und aufgehängt; Bilder, die ihn in tropischen Landschaften und vor Eingeborenendörfern zeigten. Auf einem Foto war er auf einem Waldboden vor einem dunkelgrünen Zelt in die Knie gegangen und hatte den Arm um eine sehr schöne Frau gelegt. Ihre kupferroten Krissellocken lässig im Nacken zusammengenommen, strahlte sie mit den hellgrünen Augen in ihrem milchweißen, sommersprossigen Gesicht in die Kamera. Wie selbstverständlich ihre Hand auf Teds Oberschenkel lag, versetzte mir einen Stich.
»Wer ist das da auf dem Foto?«, fragte ich, als Ted mir das nächste Buch gab.
»Das da? Das ist Maggie. Maggie MacGinnis. Wir waren im selben Forscherteam auf Borneo. Sie lehrt heute an der New York University.«
Ich knabberte auf meiner Unterlippe herum und nahm das nächste Buch entgegen. »Wart ihr mal zusammen?«
Ted warf mir einen überraschten Seitenblick zu, bevor er in sich hineingrinste. »Wir haben uns tatsächlich einmal geküsst. Ungefähr fünfzehn Sekunden lang. Dann hat Maggie mir die Schulter getätschelt und gemeint, sie wüsste jetzt sicher, dass sie nicht auf Männer steht.« Er schnitt eine Grimasse. »War natürlich ein herber Schlag für mein Ego.«
Ich gluckste vor mich hin und auch Ted lachte leise.
Ich hätte ihn gern noch mehr gefragt, aber ich traute mich nicht. Obwohl wir jetzt ganze vier Monate unter einem Dach lebten, er mir ein bisschen was aus seiner Kindheit und Jugend erzählt und ich vergilbte Fotos von ihm als Knirps und als Teenie in meinem Alter gesehen hatte, war er mir immer noch schrecklich fremd.
Ich starrte auf die Bücher in meinen Händen. »Glaubst du an Geister?«, fragte ich ihn zögerlich.
»Nicht im klassischen übernatürlichen Sinne«, murmelte er, während er mit Blicken das Regal absuchte, »obwohl so ziemlich alle Kulturen Geister oder ähnliche Gestalten in der einen oder anderen Form kennen. Aber als Ausdruck unbewusster psychologischer Prozesse schon. Als Sinnbild für die Urängste der menschlichen Seele. Als ein ewig gültiges Symbol für Vergangenes, das einen so lange immer wieder heimsucht, bis man es verarbeitet hat.« Mit einem wehmütigen Lächeln reichte er mir noch ein Buch. »Und das kenne ich tatsächlich aus eigener Erfahrung.« Er tippte auf das oberste der Bücher. »Damit kannst du vielleicht fürs Erste was anfangen. Wenn du noch mehr haben willst oder Fragen
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