In einem Boot (German Edition)
unerschütterlich war. Ich fühlte mich sicher bei Henry, was nicht einer gewissen Ironie entbehrt, weil es mich nie auf die Zarin Alexandra verschlagen hätte, wenn wir uns nicht begegnet wären. Ohne ihn war ich verwundbar und dem Urteil Dritter ausgeliefert. Vermutlich wurde schon viel über das Verhältnis zwischen Mann und Frau geschrieben, und obwohl ich keines dieser Bücher kenne, da es nicht die Art von Lektüre ist, die ich bevorzuge, glaube ich, dass Menschen dafür geschaffen sind, ihr Leben in Gemeinschaft zu verbringen, gemeinsam Freud und Leid zu erfahren, verheiratet zu sein. Dieser Umstand ist sogar in der Beziehung zwischen Hannah und Mrs Grant erkennbar, in der Stärke, die sie einander schenken, obwohl sie natürlich nicht verheiratet sind und niemals sein können. Von uns allen haben diese beiden das stärkste Band geknüpft, und ihnen konnten die Strapazen der Zeit im Rettungsboot am wenigsten anhaben. Jetzt sind sie im Gefängnis und müssen erdulden, was ihnen auf See erspart blieb. Manchmal frage ich mich, ob sie auch dann eingesperrt worden wären, wenn Mrs Grant ein Mann wäre.
Eines Nachts, als ich unter dem endlosen Sternenzelt über das schwarze Wasser schaute und das winzige, leuchtende Leben im Meer betrachtete, das nicht im Einzelnen beschrieben werden kann, sondern nur in der Wirkung, die es als Ganzes hatte, verschwand die Angst aus meinem Herzen. Ich hatte mir Gott immer als ein Wesen vorgestellt, das irgendwo über uns in den Wolken schwebte und uns entweder milde lächelnd oder verärgert die Stirn runzelnd betrachtete, je nachdem, in welcher Stimmung er sich befand oder ob er zufrieden mit uns war oder nicht. Er wohnte in der Sonne oder blies seine Backen auf, um uns mit Stürmen aus unserer Erstarrung zu wecken und uns aus der Versuchung zu führen. Aber jetzt wusste ich, dass er im Meer lauerte und Hand in Hand mit Hardie in mächtigen Wellen aufstieg und unser Boot wild auf und ab tanzen ließ.
Nichts davon würde ich vor Gericht sagen, denn ich habe genug gesehen und gehört, um zu wissen, dass persönliche Geständnisse dieser Art entweder als Ketzerei betrachtet werden oder als Zeichen für geistige Verwirrtheit. Allerdings erwähnte ich es Mr Reichmann gegenüber, der meinte, Gott sei eine gute Strategie, auf die ich jederzeit zurückgreifen könne, solange ich die Details aussparte, denn der Glaube sei etwas, was die Geschworenen verstanden. »Sie verstehen gar nichts«, wollte ich sagen, hielt aber meinen Mund.
Ohne den Diakon, der unsere Situation in einen religiösen Kontext gesetzt hatte – wenn auch für meinen Geschmack etwas fade und trocken –, war ich gezwungen, das Göttliche selbst zu erkennen. Ich versuchte, mir Bibelverse ins Gedächtnis zu rufen, Predigten, die einen Eindruck hinterlassen hatten, aber das war kaum einer gelungen, weil ich keine besonders aufmerksame Zuhörerin bin. Es sind eher Bilder, die sich mir einprägen. Außerdem bin ich ein Mensch, der Dinge tut, anstatt endlos über sie nachzudenken. Ich erinnerte mich an das Licht, das durch Buntglasfenster fällt, an das glänzende, frisch gewaschene Haar der Mädchen im Kirchenchor, an die Kinder, die unruhig auf ihren Plätzen hin und her rutschten, ehe sie erlöst waren und zur Sonntagsschule gehen durften, an die Stille, die folgte, wenn sie fort waren, und an mein Verlangen, mit ihnen gehen zu dürfen, das ich auch noch hatte, als ich diesem Alter längst entwachsen war. Ich erinnerte mich an das weiße Gewand mit der purpurfarbenen Bordüre, das der Priester getragen hatte, und an die modischen Hüte der Damen. An das, was gesagt wurde, erinnerte ich mich nicht.
Drei Wochen im Rettungsboot und zwei weitere Wochen im Gerichtssaal lehrten mich, aufmerksam zuzuhören. Ich hörte, wie Mrs Grant Hannah befahl, nach hinten ins Boot zu gehen und in das Wasserfass zu schauen, obwohl ich so tat, als würde ich es nicht hören. Ich hörte, wie der Richter sich weigerte, Hannah aussagen zu lassen, was Mary Ann ihr über Juwelen erzählt hatte, die sich angeblich in Mr Hardies Besitz befunden haben sollten. Er sprach von Hörensagen und Vermutungen. Ich hörte, wie Dr. Cole mich als willensschwach und leicht zu beeinflussen beschrieb, und ich hörte Mr Reichmann, der sagte, dass wohl nicht alle Ehefrauen gleich wären. Und als die Geschworenen mich für nicht schuldig befanden, hörte ich sie so klar und deutlich wie das Nebelhorn am siebten Tag.
Hannah und Mrs Grant wurden des vorsätzlichen
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