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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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linsende,
unverständliche Nuschler mit gesenktem Blick oder die (ebenso berechenbaren)
überkandidelten Rampensäue, die ihren Text hervorschmetterten und den
empfindsamen Matronen im Stammpublikum schöne Augen machten.
    [28]  Eine bemerkenswert talentierte Ausnahme – denn als Schauspieler
war er durchaus begabt, wenn auch in einer anderen Liga als Richard Abbott –
stellte mein Großvater dar, der Zweite-Weltkrieg-Fan Harold Marshall, den alle
(bis auf meine Großmutter) Harry nannten. Als größter Arbeitgeber von First
Sister, Vermont, hatte er über mehr Angestellte zu gebieten als die Favorite
River Academy, auch wenn die Privatschule in unserer Kleinstadt immerhin der
zweitgrößte Arbeitgeber war.
    Grandpa Harry gehörten das Sägewerk und das Holzlager von First
Sister. Sein Geschäftspartner – ein schwermütiger Norweger, der gleich seinen
ersten Auftritt haben wird – war der Forstwirt. Der Norweger beaufsichtigte das
Fällen und den Abtransport der Bäume, während Harry Sägewerk und Holzlager
unterstanden. Grandpa Harry unterschrieb zudem alle Schecks, und auf den grünen
Lastern, die die Baumstämme und anderes Holz transportierten, stand in gelben
Großbuchstaben der Name MARSHALL .
    Bei dem hohen Ansehen meines Großvaters in unserem Städtchen war es
vielleicht verwunderlich, dass die First Sister Players immer nur Frauenrollen
mit ihm besetzten. Mein Großvater war ein grandioser Frauendarsteller; auf der
kleinen Bühne unseres Städtchens verkörperte Harry Marshall viele (manche
würden sagen: die meisten) weibliche Hauptrollen. Und tatsächlich kann ich mich
an ihn besser als Frau denn als Mann erinnern. In seinen weiblichen
Bühnenrollen war er präsenter und lebhafter, als ich ihn je im wirklichen Leben
in seiner monotonen Rolle als Sägewerksdirektor und Holzhändler erlebt habe.
    Leider führte der Umstand, dass die einzige Rivalin für [29]  die
anspruchsvollsten und dankbarsten Frauenrollen seine ältere Tochter Muriel war – die verheiratete Schwester meiner Mutter, meine mehrfach erwähnte Tante –, zu
gewissen familiären Reibereien.
    Tante Muriel war zwar nur zwei Jahre älter als meine Mutter, hatte
aber trotzdem alles getan, bevor meine Mutter auch nur daran dachte, es zu tun,
und zwar ordentlich und (in Muriels Sicht) einfach perfekt. Angeblich hatte sie
am Wellesley College »Weltliteratur studiert«, und sie hatte meinen
wundervollen Onkel Bob geheiratet – in ihren Worten ihren »ersten und einzigen
Verehrer«. Jedenfalls fand ich Onkel Bob wundervoll; zu mir war er immer
wundervoll. Später erst erfuhr ich, dass Bob Trinker war, eine Bürde und eine
Schande für Tante Muriel. Meine Großmutter, von der Muriel ihre Herrschsucht
hatte, pflegte häufig zu bemerken, Bobs Benehmen sei »unter Muriels Würde« –
was auch immer sie damit meinen mochte.
    Bei all ihrer Hochnäsigkeit war die Sprache meiner Großmutter mit
sprichwörtlichen Redewendungen und hohlen Phrasen gespickt, und Tante Muriel
schien trotz ihrer so hochgeschätzten Bildung die Banalität der Nullachtfünfzehn-Sprache
ihrer Großmutter geerbt (oder zumindest übernommen) zu haben.
    Muriels Liebe zum und Bedürfnis nach dem Theater war wohl von ihrem
Wunsch beseelt, ihrer erhaben klingenden Stimme etwas Originelles zu sagen zu
geben. Muriel war attraktiv – eine schlanke Brünette mit dem üppigen Busen und
der klangvollen Stimme einer Opernsängerin –, hatte aber ein Spatzenhirn. Genau
wie meine Großmutter brachte Muriel es fertig, ebenso arrogant wie kritisch zu
sein, ohne [30]  irgendetwas Nachvollziehbares oder Interessantes von sich zu
geben; in dieser Hinsicht erlebte ich meine Großmutter wie auch meine Tante als
aufgeblasene Langweilerinnen.
    In Tante Muriels Fall verschaffte ihr ihre tadellose Artikulation
eine hervorragende Bühnenwirkung; sie war ein erstklassiger Papagei, wenn auch
ein roboterhafter und humorloser, und immer nur so sympathisch oder
unsympathisch wie die Rollen, die sie spielte. Muriels Sprache klang
pathetisch, doch fehlte es ihr an eigenem »Charakter«; sie war einfach nur eine
chronische Nörglerin.
    Meine Großmutter entstammte einem unbeugsamen Zeitalter und war
konservativ erzogen; beides nährte in ihr den Glauben, das Theater sei zutiefst
amoralisch, wenn nicht gar unmoralisch, und Frauen gehörten nicht auf die
Bühne. Victoria Winthrop (wie sie mit Mädchennamen hieß) glaubte, alle
Frauenrollen in jedem Schauspiel sollten von Knaben und Männern

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