In einer Person
kennengelernt – im Grunde genommen ein Fernschreiber, mit
einem Satz elektrischer Verschlüsselungswalzen dran«, erzählte mir mein Großvater.
Ebenso gut hätte er Lateinisch reden können; höchstwahrscheinlich hätte nicht
einmal mein abwesender Vater mir die Funktionsweise einer Chiffriermaschine
verständlich machen können.
Mein Großvater verwendete »Codeknacker« und »Sergeant« nie
abschätzig, und er berichtete mir begeistert von den Kriegserlebnissen meines
Vaters. Als Laienschauspieler in den First Sister Players muss er sich das gute
Gedächtnis antrainiert haben, das man braucht, um sich so spezielle und
diffizile Fakten zu merken. Grandpa konnte mir haarklein schildern, was meinem
Dad alles zugestoßen war – wobei die Kriegserlebnisse eines Kryptographen, das
Ver- und Entschlüsseln von Geheimbotschaften, durchaus ihren Reiz für mich
hatten.
Die U.S. 15th Air Force kam in Italien
zum Einsatz, ihr Hauptquartier war in Bari. Das 760. Bombengeschwader, zu dem
mein Vater gehörte, war im Armee-Flugstützpunkt von Spinazzola stationiert –
auf dem Land, südlich von Bari.
Im Anschluss an die Landung der Alliierten in Italien [23] bombardierte
die 15th Air Force Süddeutschland, Österreich und den Balkan. Von November 1943
bis September 1945 verloren die USA in diesen
Gefechten über tausend schwere B-24-Bomber. Aber Kryptographen flogen nicht.
Mein Vater wird kaum je aus dem Coderaum auf dem Stützpunkt in Spinazzola
herausgekommen sein; die verbleibenden zwei Kriegsjahre beschäftigte er sich
mit seinen Codebüchern und dem geheimnisvollen Chiffrierapparat.
Während die Bomber Angriffe auf Nazifabriken in Österreich und
Erdölfelder in Rumänien flogen, kam mein Vater nie über Bari hinaus –
hauptsächlich, um dort seine Zigaretten auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen.
(Sergeant William Francis Dean war Nichtraucher, hatte meine Mutter mir
versichert; vom Verkauf seiner Zigaretten in Bari konnte er sich ein Auto
leisten, als er nach Boston zurückkam – ein Chevrolet Coupé, Baujahr 1940.)
Die Demobilisierung meines Vaters ging relativ reibungslos vonstatten.
Das Frühjahr 1945 verbrachte er in Neapel, das er als »bezaubernd, lebensfroh
und bierselig« schilderte. ( Wem schilderte er es?
Wenn er sich von meiner Mutter scheiden ließ, bevor ich zwei war – wie hatte er das angestellt? –, warum schrieb er ihr dann
noch, als ich schon drei war?)
Vielleicht schrieb er stattdessen meinem Großvater; Grandpa hatte
mir erzählt, dass mein Vater in Neapel an Bord eines Transportschiffs der Navy
gegangen war. Nach kurzem Aufenthalt in Trinidad wurde er mit einer C-47 zu
einem Stützpunkt in Natal, Brasilien, geflogen, wo der Kaffee »sehr gut« war.
Aus Brasilien flog ihn eine weitere – diesmal als »klapprig« bezeichnete – C-47
nach Miami. Ein [24] Truppenzug Richtung Norden verteilte die heimkehrenden
Soldaten auf ihre Garnisonen, von wo sie entlassen werden sollten; und so kam
es, dass mein Vater sich in Fort Devens, Massachusetts, wiederfand.
Als er im Oktober 1945 entlassen wurde, konnte er sein Studium nicht
sofort wiederaufnehmen; also erstand er mit seinem Schwarzmarktgeld den Chevy
und nahm einen Aushilfsjob in der Spielzeugabteilung von Jordan Mash an, dem
größten Kaufhaus in Boston. Im Herbst 1946 kehrte er nach Harvard zurück, mit
Romanistik im Hauptfach; wie Grandpa mir erklärte, waren das die Sprachen und
Literaturen von Frankreich, Spanien, Italien und Portugal. (»Na, halt zwei oder
drei davon«, sagte Grandpa.)
»Dein Vater war ein Ass in Fremdsprachen«,
sagte mir meine Mutter – daher vielleicht auch ein Ass in Kryptographie? Aber was interessierte meine Mutter oder meinen Großvater das
Hauptfach meines durchgebrannten Vaters in Harvard? Wieso kannten sie diese
Details überhaupt? Warum hatte man sie ihnen mitgeteilt?
Lange Jahre bekam ich von meinem Vater nur ein einziges Foto zu
sehen. Darauf sieht er sehr jung und sehr dünn aus; es stammt aus dem späten
Frühjahr oder Frühsommer 1945. Man sieht ihn eisschleckend auf dem Navy-Transportschiff,
irgendwo zwischen der Küste Süditaliens und der Karibik, bevor sie in Trinidad
anlegten.
Vermutlich beschäftigte vor allem der schwarze Panther auf der
Fliegerjacke meines Vaters meine kindliche Phantasie; dieser finster
dreinblickende Panther war das Symbol der 460. Bomberstaffel. (Obwohl Kryptographen
nicht flogen, wurden auch an sie Fliegerjacken ausgegeben.)
[25] Ich war von der übermächtigen fixen
Weitere Kostenlose Bücher