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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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schon damals in Carrymuir, in Schottland, das Motto des Clans.«
    Graham nickte. »Ihr Motto hat also auch etwas mit Beurteilen zu tun.« Er blickte hoch zu einem Wasserfleck an der Decke. »›Von einem schließe auf die übrigen.‹« Wieder nahm er Cam aufs Korn. »Wenn Jamie MacDonald ein fauler Apfel ist, was würde das denn über Ihren Clan und Sie selbst aussagen, Chief?«
    Cam starrte ihn finster an. »Ich weiß nicht, inwiefern das …«
    »Bitte beantworten Sie nur meine Frage.«
    Graham warf einen kurzen Blick zur Jury hinüber, um festzustellen, ob jemand wohl das Gefühl hatte, daß er den Chief zu grob anfaßte. Die meisten Geschworenen saßen gespannt vorgebeugt auf ihren Stühlen.
    Cam schaute seiner Frau in die Augen. »Ich glaube, wenn man über jemanden urteilt«, sagte er langsam, »sind immer die jeweiligen Umstände zu berücksichtigen.«
    Richter Roarke, dessen Vorliebe für Oreo-Kekse bekannt war, legte nach Cams Kreuzverhör eine halbstündige Pause ein. Cam warf einen Blick auf die Uhr. Es war kurz nach drei. Bis das Gericht wieder zusammentrat, wäre es fast Zeit zum Heimgehen. Allie war am Morgen mit ihrem eigenen Wagen gekommen, doch vielleicht konnte er sie überzeugen, mit ihm Kaffee zu trinken oder sogar essen zu gehen. Er wollte einfach nur Frieden schließen.
    Am schlimmsten war es, mit ihr in einem Haus zu sein und nicht zu wissen, woran zum Teufel sie gerade dachte. Sie tat alles genau wie immer – den Geschirrspüler leeren, sich die Nachrichten ansehen –, doch sie hatte diese komische Art, einfach durch ihn hindurch zu schauen. Sie behauptete, sie wolle ihn nicht loswerden; aber allmählich bekam er das Gefühl, daß sie ihn einzig und allein im Hause duldete, um ihn zu bestrafen.
    Zweifellos hatte er sich wie ein Arschloch aufgeführt, und es war ihr gutes Recht, Abstand zu wahren. Er sagte sich, daß er irgendwie zu Kreuze kriechen mußte – zwar Mia in einem distanzierten Porträt bewahren, aber nicht die vergangenen Monate alles andere in seinem Leben zerstören lassen. Es behagte ihm nur einfach nicht, ständig mit eingezogenem Schwanz herumzulaufen.
    Allie sagte, daß sie ihn liebte. Sie würde sich schon wieder einkriegen.
    Gerade beugte er sich über den Wasserspender, als er eine Hand auf seinem Hemdkragen spürte, die ihn zurückriß und unvermutet beutelte. »Wenn ich nicht fürchten müßte, daß man mich wegen Körperverletzung anzeigt«, zischte Jamie zwischen zusammengebissenen Zähnen, »würde ich dir die Visage polieren.«
    Er ließ Cam ebenso plötzlich los, wie er ihn gepackt hatte, so daß sich die Umstehenden und die Wachmänner fragten, ob sie sich den Zwischenfall vielleicht nur eingebildet hatten. »Allie hat es dir wohl erzählt!« Cam stöhnte, denn es war ihm peinlich, daß dieser Mann soviel über ihn wußte.
    »Du Idiot«, fauchte Jamie, »du weißt gar nicht, was du verloren hast.«
    Cam starrte Jamie an und dachte an das, was er während seiner Aussage nicht erwähnt hatte – Jamies Schilderung von Maggies Krankheit, ihre Reise nach Quebec, wie zärtlich er ihre Leiche berührt hatte, nachdem er mit Zandy fertig war. Und er begriff, daß komischerweise ausgerechnet dieser Mann vielleicht der einzige Mensch war, der ihn verstehen würde. »Und du weißt nicht, was ich gehabt habe«, verbesserte Cam ihn ruhig.
    Als er den Tonfalls seines Cousins wahrnahm, trat Jamie einen Schritt zurück. »Vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit?«
    »Wahrscheinlich«, meinte Cam, »würden es manche Leute so nennen.«
    Jamie starrte ihn an. Er sagte kein Wort, doch die Botschaft war eindeutig: Oder hast du nur etwas getan, wogegen du nicht ankamst? Auch wenn es gegen alle Regeln verstieß?
    Cam deutete mit einer Kopfbewegung zum Ende des Korridors, wo weniger Leute standen, und schweigend machten sie sich auf den Weg. Dort lehnte sich Cam an die Mauer, ein Bein angewinkelt, den Fuß gegen die Ziegel gestemmt, und ließ den Kopf zurücksinken. »Wie hast du es geschafft?« Seine Stimme war rauh. »Wie hast du es geschafft, sie gehen zu lassen?«
    Jamie wich seinem Blick aus. »Irgendwie habe ich mich einfach damit abgefunden, daß es mich bis an mein Lebensende jeden Tag ein bißchen umbringt.«
    Cam dachte an Mia, an ihr Haar, das über dem Kragen ihrer überdimensionalen Jacke hüpfte, und fragte sich, ob sie das wohl auch so empfand, wo immer sie jetzt sein mochte.
    »Ich glaube, ich habe dich falsch eingeschätzt«, sagte Cam.
    Jamie sah seinen Cousin an,

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