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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Fastfood-Restaurant dreißig Leute erschießt«, argumentierte er. »Hier handelt es sich um eine vollkommen andere Art von Fall.«
    Audra verzog die Lippen zu der erbärmlichen Imitation eines herablassenden Lächelns. Heute morgen hatte sie beim Auftragen des Rouges nicht achtgegeben: Für Graham sah es so aus, als trüge sie Clownsflecken auf den Wangen. »Das können Sie Ihrem Abgeordneten erzählen«, schaltete sie sich ein. »Bisher bleibt ein Mord immer noch ein Mord. So steht es zufällig im Gesetz.«
    Graham sah wieder auf den Richter. »Bei einem gewöhnlichen Verbrechen ist davon auszugehen, daß das Opfer der Tat nicht zustimmt«, setzte er neu an.
    Roarke nickte. »Richtig, doch leider lauten die Gesetze immer noch anders. Sie werden doch nicht in diesem kleinen Gerichtssaal an den Grundlagen unseres Rechtssystems rütteln wollen, Mr. MacPhee?«
    Der Anwalt atmete tief durch und unternahm einen letzten Versuch. »In diesem Fall geht es um das Recht zu sterben, nicht um den Raub eines Lebens.«
    Audra schmunzelte. »Das klingt rührend, Graham, aber es ist keine Rechtfertigung vor dem Gesetz.«
    Richter Roarke klopfte fester mit seinem Hammer, als er beabsichtigt hatte. »Es reicht«, schloß er. »Alle Anträge sind abgelehnt. Die Verhandlung wird nach einer Unterbrechung von zehn Minuten wieder aufgenommen.«
    Graham kehrte zurück zu seinem Pult und hielt sich hartnäckig vor, daß Anträge auf Verfahrenseinstellung eine Formsache waren und daß er von Anfang an mit einer Ablehnung gerechnet hatte. Doch als sein Blick auf Jamies hoffnungsvolle Miene fiel, begriff er, was sie wirklich bedeuteten. Man beantragte eine Verfahrenseinstellung, damit man im Fall einer Berufung nicht mit gänzlich leeren Händen dastand. Was bedeutete, daß Graham sich in gewisser Hinsicht bereits mit der Tatsache einer Niederlage abzufinden begann.
    Es war idiotisch von ihm, ihr Blumen zu bringen. Nicht genug, daß Cam sie von der Konkurrenz gekauft hatte; der Anblick von so vielen Blüten auf ihrer Kommode und der Anrichte und dem Schlafzimmerboden ließ Allie an ihren Laden denken und des weiteren an Mia.
    Er hatte Chrysanthemen, Margeriten und Gladiolen, Amaryllis, Enzian und Fuchsien besorgt. Außerdem Lilien, Alpenveilchen und eine große Menge Schleierkraut. Cam schien sich Mühe gegeben zu haben, alle Regenbogenfarben ausfindig zu machen und sie in ihr Zimmer zu schleppen.
    Sie war aufgewacht, als er mit noch einer Vase hereingeschlichen kam, die er neben ihrer Bürste abstellen wollte. »Was tust du hier drin?« fragte sie und setzte sich augenblicklich auf.
    Cam lächelte und streckte ihr die Blumen, statt sie auf der Kommode abzusetzen, wie einen Geburtstagsstrauß entgegen. »Sieht man das nicht?«
    Die vergangene Nacht hatte er sicher wieder auf dem Sofa verbracht, weil sie ihn nicht ins Schlafzimmer lassen wollte. »Ich habe nicht Geburtstag.«
    Cam setzte sich aufs Bett, und Allie rutschte instinktiv beiseite. »Ich weiß«, sagte er.
    Sie sah ihn wütend an. »Du kannst dir kein reines Gewissen kaufen.«
    Ein schwarzer Blitz zuckte kurz durch seine Augen und verschwand augenblicklich hinter einer spontanen Maske der Selbstbeherrschung. Er rang sich ein Lächeln ab.
    Allie wußte, daß sie gehässig war. Sie hatte Cam gebeten zu bleiben; aber sie an seiner Stelle wäre längst gegangen, wenn sie so viele Gemeinheiten ertragen müßte, wie sie Cam an den Kopf warf. Und doch konnte sie einfach nicht anders. Manchmal öffnete sie den Mund, um einen Waffenstillstand einzuleiten; aber sofort spie dieses gräßliche Ding, das sich in ihr eingenistet hatte, einen ganzen Eimer voll Bosheiten über ihm aus.
    Sie fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis ihr Gehirn das Herz davon überzeugt hatte, daß dies kein Wettkampf mehr war. Cam hatte gewonnen, ohne Wenn und Aber. Ganz gleich, welche verbalen Mittel sie einsetzte – sie konnte Cam nicht einmal annähernd so verletzen, wie er sie getroffen hatte.
    »Weißt du, wo sie ist?«
    Allie hörte die Frage von ihren Lippen fallen; sie war entsetzt darüber, sie gestellt zu haben. Cam wurde rot und wieder bleich. »Nein«, murmelte er. »Und wenn ich es wüßte, würde es auch nichts ändern.«
    »Woher willst du das wissen?« schrie Allie ihn an. »Das hat dich schon einmal nicht abgehalten.«
    Cam starrte auf einen Punkt knapp links von Allies Schulter. Dort war ein Fleck auf der Tapete. Es war eine Mücke gewesen, im vergangenen Sommer; eines Nachts hatte er sie

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