In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)
Erinnerungen wiederaufleben lassen?
Wenn ich derjenige gewesen wäre, der ging, hättest du dir dann das Herz nach mir leergeschrieben?
5
Im Lateinunterricht der siebten Klasse erfuhr Mia, daß ihr Name vom lateinischen Wort für ›mein‹ abstammte. Die Lehrerin machte einen Witz darüber und erklärte, es wäre wohl der egomanischste Name in der ganzen Schule. Doch Mia hatte nur müde gelächelt und sich gefragt, was sich ihre Eltern dabei gedacht haben könnten. Wessen Tochter war sie genau? Die ihres Vaters? Die ihrer Mutter? Trotz ihrer Liebe zueinander hatten sie ihre Tochter nicht ›Unsere‹ genannt und sie statt dessen in dem Glauben gelassen, sich für einen von beiden entscheiden zu müssen.
Den Rest des Tages hatte sie geschwänzt und war dabei schließlich zu Hause gelandet, wo sie in dem Rosengarten saß, den ihre Mutter ein paar Jahre zuvor aufgegeben hatte, da die Gartenarbeit sie am Wochenende zu viele Stunden von Ed Townsend fernhielt. Mia hatte ihn nach ihren Vorstellungen umgestaltet, die dornigen Büsche um Drahtgerüste gewunden und sie so zurechtgestutzt, daß sie zu Drachen, Zentauren und bauchigen Schiffen wurden, die genau in der Form verharrten, wie man es ihnen befahl. Ihre Eltern hielten sie für sehr begabt, eine geschickte kleine Gärtnerin. Sie hatten eine Hängematte für zwei Personen im Garten aufgehängt, so daß sie ihr bei der Arbeit zusehen konnten.
Doch sie waren nicht im Garten, als Mia heimkam, und sie ging nicht gleich zu ihrem Geräteschuppen. Statt dessen setzte sie sich in das kühle, feuchte Gras und zerrupfte mit den Fingernägeln ein Blatt. Sie dachte über ihren Namen nach. Sicherlich hatten ihre Eltern sie schon bei ihrer Geburt als Einzelwesen und nicht als Teil der magischen Gemeinschaft betrachtet, die sie bildeten. Selbstgenügsam, das war die Kleine. Unabhängig.
Mia. Meine. Und damals begriff sie, was sie vielleicht schon immer gewußt hatte – daß sie nur sich selbst gehören durfte.
Cam saß im Dunkel der Kirche und starrte auf den Leib Christi. Es war ein wachsfarbenes Abbild, das über dem Altar hing. Als kleiner Junge hatte sich Cam in der Sonntagsmesse immer wachgehalten, indem er die Augen aufriß und nicht blinzelte, bis der Tränenfilm das gemalte Blut auf Jesu Händen und Füßen echt wirken ließ.
Die MacDonalds waren seit jeher katholisch. Deshalb hatten auch einige der Clanchefs entschieden, für die Wiedereinsetzung von Prince Charles – und der Stuarts – auf dem englischen Thron zu kämpfen. Mittlerweile war Schottland größtenteils presbyterianisch, doch die MacDonalds aus Carrymuir hatten, als sie kurz vor 1750 in Massachusetts landeten, ihre ursprüngliche Religion mitgebracht.
Cam war nicht besonders fromm; doch er suchte gerne an diesem Ort Zuflucht, wenn er mit seinen Gefühlen nicht zu Rande kam. Im Augenblick saß er aus mehreren Gründen in der Kirche: Er wollte eine Kerze für Maggie MacDonald anzünden; er mußte für Jamie MacDonalds Seele beten. Außerdem wollte er mit jemandem über sein eigenes Vergehen sprechen – und obwohl ihm dabei eigentlich Mia Townsend selbst als Beichtvater durch den Kopf spukte, sah er diese Unmöglichkeit ein.
Unglücklicherweise mußte er, während er darauf wartete, daß Vater Gillivray die Beichten abnähme, ständig an seine Hochzeit vor fünf Jahren denken.
Allie war eine wunderschöne Braut gewesen, klein und elegant in weißem Satin, der ihre Brüste und Hüften umschmiegte. Cam hatte sie durch den Mittelgang auf sich zukommen sehen und nur noch gedacht: Sie ist so leicht. Es kam ihm so vor, als würde sie bei jedem Schritt eine Handbreit über dem Boden schweben, und als Allies Vater ihre Hand auf Cams legte, hatte er sie sofort ergriffen, um sie auf keinen Fall davontreiben zu lassen.
Doch trotz ihres hinreißenden Aussehens hatte Cam ihr die Show gestohlen. Schließlich nahm sich nicht jeden Tag ein Clanchef eine Frau. Er hatte die Feiertagstracht seines Vaters getragen: den schwarzen Samtumhang mit den silbernen Knöpfen, den schweren Kilt im kräftigen MacDonald-Tartan, das weiße Leinenhemd mit dem Rüschenbausch an Kragen und Händen.
Als sie in ihre Flitterwochensuite im Wheelock Inn zurückkehrten, hatte Allie ihm lachend erklärt, bei ihm gäbe es mehr Schnallen und Knöpfe zu öffnen als bei ihr …
Cam sank auf die Knie wie im Gebet und hoffte, die harte Bank unter ihm würde seine Gedanken zügeln.
Nicht einmal in dieser Kirche, wo Cam Gott an seiner Seite
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