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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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»Wenn ein Baum im Wald umfällt und keiner da ist …« Er ließ den Satz unvollendet.
    »Komm schon«, sagte Rod. »Willst du etwa behaupten, daß du in diesem hochsensitiven System echten Sex von virtuellem unterscheiden könntest?«
    »Ihr beiden versteht das natürlich nicht«, sagte Jamie feixend.
    »Hört, hört, hier spricht der Ehemann«, sang Rod.
    »Ganz recht«, bestätigte Jamie. »Kein noch so komplexes System könnte mir weismachen, ein virtueller Akt mit Maggie käme an die echte Sache ran.«
    »Sprich weiter, Konfuzius«, forderte Flanders ihn auf.
    Doch Jamie ging ganz langsam herum und schaltete bedächtig erst die Geräte und schließlich das Licht aus. Jemandem, der noch nie im Cyberspace gewesen war, konnte man nicht erklären, daß man nur ein raffiniertes Programm und ein gewisses Maß an Begabung brauchte, um dort mit einer Frau zusammenzukommen – ohne einen Funken Seele oder Herz. Und jemandem, der nie so innig und stark geliebt hatte wie er selbst, konnte man niemals erklären, daß jede Sekunde mit Maggie ihn in eine Welt versetzte, die er unmöglich selbst zu erschaffen vermochte.
    Mia mietete sich zu einem ermäßigten Langzeittarif im Wheelock Inn ein. Dafür bekam sie ein Kabuff von Zimmer in dem kleinen zweistöckigen Hotel, direkt neben der Besenkammer am Westende. Es hatte allerdings eine eigene Toilette und eine klauenfüßige Badewanne mit Vorhang zum Duschen. Außerdem gab es eine winzige Kochecke. Das Bett war mit einer Decke im gleichen Schottenmuster überzogen wie die in Cams Haus, und auf einer Kommode stand ein angeschlagener blauer Wasserkrug mit Waschschüssel.
    Sie warf ihren Seesack aufs Bett und stellte vorsichtig den Rucksack auf den wackligen Tisch. Als sie den Reißverschluß öffnete, sprang Kafka heraus, froh, endlich seinem Gefängnis zu entrinnen. Wenn sie mit der Katzenkiste achtgab, würde der verkniffene Portier unten gar nicht mitbekommen, daß sie ein Haustier besaß.
    Sie nahm den Bonsaibaum, den sie in der anderen Hand getragen hatte, und wickelte ihn langsam aus der schützenden Gaze-Umhüllung. Es war der, den sie Allie gestern gezeigt hatte, um den Job zu bekommen; ein Feigenbaum mit freiliegenden Wurzeln, achtundzwanzig Jahre alt, genau wie Mia. Natürlich machte sie sich schon einige Zeit an ihm zu schaffen, dennoch war es eine beachtliche Leistung. Achtundzwanzig Jahre, und trotzdem gedieh er in dieser winzigen Terrakotta-Schale. Mia fuhr mit dem Finger über die knotigen, freiliegenden Wurzeln und die flüsternden, centgroßen Blätter. »Hallo«, sagte sie leise und stellte ihn an einem Platz auf, wo er sofort den fremden Raum in ein Heim verwandelte.
    Dieses Zimmer im Inn hatte sie sich genommen, weil sie Cameron MacDonald nicht wiedersehen wollte. Sie wußte, daß das in einem Ort mit nicht einmal zweitausend Einwohnern beinahe ein Ding der Unmöglichkeit war, vor allem, da sie mit seiner Frau zusammenarbeitete; doch das hielt sie nicht davon ab, auf Distanz zu gehen.
    Mia stand vor der Kommode und blickte in den uralten Spiegel. Ihr Gesicht wirkte bronzefarben und staubig; und ihr Mund war breit und dünn, so wie immer. Ihre Lippen sahen nicht mehr geschwollen aus, wie vorhin, nachdem Cam sie am Blumenladen abgesetzt hatte. Als feststand, daß Allie nicht da war, hatte Mia den Laden abgeschlossen und sich im Hinterzimmer vor den Toilettenspiegel gestellt, wo sie die Fingerspitzen an den Mund legte, um auf diese Weise die Empfindsamkeit ihrer Lippen zu bewahren.
    Sie begann, die Schubladen im Nachttisch und in der Kommode zu durchstöbern, nicht so sehr, weil sie etwas zu finden erwartete, sondern einfach wie jedermann, der sich in einem anonymen Hoteizimmer einrichtet. In der untersten Kommodenschublade lag eine schwer nach Pfirsich duftende Votivkerze und in dem Nachttisch links vom Doppelbett eine König-James-Bibel – König James von Schottland, wie sie inzwischen wußte.
    Unter der Bibel fand sie einen Stapel Papier, mit dem Stadtsiegel bedruckt, und einen kleinen, abgekauten Bleistift. Mia zündete die Votivkerze an, nahm dann Papier und Bleistift heraus und setzte sich auf das Bett, wobei sie die Bibel als Schreibunterlage benutzte.
    Cameron , schrieb sie, weil ihr sein vollständiger Name gefiel. Du gehst mir im Kopf herum. Sie dachte an seine helle Haut und daran, wie die Sonne die satten Herbstfarben in seinem Haar zum Leben erweckte. Ihr fiel ein, wie er sie, da er ihr mit seiner Waffe Angst eingejagt zu haben meinte, so fest an

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