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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Gummijacke und sackartige gestreifte Shorts sowie Diamantohrringe. Wegen der Ohrringe bin ich zu ihr hingegangen. Immer wieder fingen sich die Sonnenstrahlen darin und blinzelten mir zu. Ich meine, sie stand da im Schlamm und in den Algen, aber sie hatte immer noch Diamanten an den Ohren.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe ihr die Bürste abgenommen und ihr auf den Rasen geholfen. Damals wohnte ich genau gegenüber dem Park; ich ging jeden Tag zehnmal daran vorbei, und plötzlich begriff ich, wenn ich das nächste Mal daran vorbeigehen würde, und sie wäre nicht da, würde der Park leer aussehen.«
    Allie preßte sich die Hand auf den Mund und wandte sich ab. Im Geist sah sie Maggie MacDonald auf dem Einbalsamierungstisch liegen. Sie wühlte in ihrem Gedächtnis, ob Maggie Ohrringe getragen hatte.
    »Ich bin«, sagte Jamie, »derjenige, der sich zuerst verliebt hat, genau wie du. Derjenige, der alles tun würde, damit es immer so bliebe, wie es am Anfang war.«
    Allie spürte, wie der Raum immer enger wurde. Sie zwang sich aufzustehen. »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest«, gab sie sich distanziert.
    » Siebzig zu dreißig«, wiederholte Jamie.
    »Aber du hast sie umgebracht «, murmelte Allie.
    Jamie schüttelte den Kopf. »Ich habe sie geliebt«, sagte er ruhig, »und zwar so sehr, daß ich sie gehen ließ.«
    Aus dem Augenwinkel konnte Allie sehen, wie die Tür zur Polizeistation aufging, und einen entsetzlichen Augenblick lang glaubte sie, es sei Cam, der sie hier überraschte. Ihr Magen schlug Purzelbäume, während sie darauf wartete, daß der Ankömmling in den Vorraum der Polizeistation trat. Ein junger Mann, jemand, den sie schon einmal gesehen hatte, aber nicht einordnen konnte …
    »Nicht Cam?«
    »Nein«, hauchte Allie, bevor sie merkte, daß sie damit Jamies Behauptung bewies.
    Casey McRae steckte seinen Kopf durch die Tür. »Allie«, bedauerte er, »du mußt jetzt leider gehen. MacDonalds Anwalt ist gekommen.«
    Allie nickte, und Casey zog den Kopf zurück. Nochmals blickte sie Jamie an. »Ich wünsche dir Glück«, sagte sie steif.
    Jamie streckte die Hände aus und faßte ihre kalten Finger. Sie versuchte sich vorzustellen, wie er diese Hände auf Maggies Nase und Mund gepreßt hatte, wie er immer fester zugedrückt hatte, ohne nachzulassen, aber es gelang ihr nicht. »Allie«, sagte er leise, »hältst du mich für schuldig?«
    Er hatte sich eine Blöße gegeben; in seinen Augen konnte sie sehen, wieviel Mühe es ihn kostete, aufrecht zu sitzen; die Schmerzen, die es ihm bereitete, auch nur zu atmen; die schimmernde Erinnerung an einen langsamen Foxtrott im Mondlicht rund um einen Ententeich. »Das hängt davon ab«, sagte sie und gestattete sich ein Lächeln, »welches Vergehen du begangen zu haben glaubst.«
    Innerhalb von fünf Minuten nach seinem ersten Blick auf Jamie MacDonald hatte Graham MacPhee begriffen, daß dieser Mann liebend gern die Todesstrafe auf sich nehmen würde, bestünde diese Möglichkeit in Massachusetts. Er wollte keinen Anwalt und erst recht keinen, der kaum besser war als ein durchschnittlicher Pflichtverteidiger. Er wollte einfach verurteilt werden und den Rest seines Lebens in einer größeren Zelle vor sich hin vegetieren.
    »Ich frage Sie nochmal«, insistierte Jamie, während er die wenigen Quadratmeter des Raumes durchmaß. »Wer hat Sie mit meiner Verteidigung beauftragt?«
    »Ein Freund«, gab Graham Auskunft. »Jemand, der Sie in Freiheit sehen will.«
    »Ich habe keine Freunde hier«, sagte Jamie und dachte an Allie und Angus – von denen keiner die finanziellen Mittel besaß, die erforderlich waren, um einen Strafverteidiger zu bezahlen.
    Graham verlor allmählich die Geduld. Dies war sein erster echter Fall – und noch dazu ein spektakulärer –, und sein gottverdammter Mandant wollte sich partout nicht verteidigen lassen. »Hören Sie«, sagte er, »es würde nichts an der Sache ändern, wenn mich Ihr lausiger Schutzengel beauftragt hätte. Ich glaube, wir können Sie vom Haken holen, und genau das beabsichtige ich zu tun.«
    Jamie blieb einen Augenblick völlig reglos stehen, dann sank er, als hätte seinen Körper plötzlich alle Kraft verlassen, in Zeitlupe auf einen Stuhl.
    Graham seufzte. »Erzählen Sie mir, was passiert ist.«
    Fünfundvierzig Minuten lang machte sich Graham auf seinem gelben Block Notizen. Als Jamie schließlich verstummte, trommelte Graham mit zwei Bleistiften auf den Tisch und las noch einmal durch, was er

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