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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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aufgeschrieben hatte. Und während er das tat, beobachtete Jamie MacDonald ihn mit gesenktem Blick und gebeugtem Kopf, so als wolle er sich keine einzige Bewegung entgehen lassen. Graham fragte sich, worauf er sich da eingelassen hatte. Für einen Strafverteidiger war es nicht ungewöhnlich, seinem Klienten zu mißtrauen; hier lag der seltene Fall vor, in dem die Rollen vertauscht zu sein schienen.
    Dann verband sich Jamies Blick mit Grahams, und Graham erstarrte. Plötzlich mußte er daran denken, was für eine Art von Mensch wohl zu der Tat fähig war, die Jamie begangen hatte. Konnte das wirklich Liebe sein? Was hätte die Tat außerdem auslösen können? Woher wollte er wissen, ob Maggie und Jamie MacDonald nicht mitten in einem erbitterten Scheidungskrieg gesteckt hatten und ob die Tat nicht die Folge einer bissigen Bemerkung war, die Jamie zur Raserei getrieben hatte? Woher wollte er wissen, ob Maggie nicht eine millionenschwere Versicherung mit Jamie, als Begünstigtem abgeschlossen hatte? Möglicherweise war Jamie MacDonald ein leidenschaftlicher Schauspieler?
    Aber das glaubte er nicht.
    »Sie haben während der letzten sechzehn Jahre in Cummington gelebt, elf Jahre davon waren Sie verheiratet, und Ihre Frau sah einem langsamen, qualvollen Tod entgegen. Sie waren emotional am Ende, ja verzweifelt, und haben in einem Augenblick der Schwäche Ihre Frau getötet, weil Sie hofften, ihr weitere Qualen zu ersparen.« Graham lächelte zaghaft. »Nicht schuldig aufgrund vorübergehender Unzurechnungsfähigkeit.«
    Jamie war klug genug, Graham nicht zu erklären, daß es sich ganz anders zugetragen hatte. Trotzdem wußte er nicht, ob er einem Anwalt vertrauen sollte, der noch so neu in seinem Job war, daß seine Ziegenlederschuhe quietschten, wenn er durch den Raum ging.
    Graham spürte Jamies Unsicherheit und setzte sich vor ihm auf die Tischecke. »Haben Sie letzte Nacht geschlafen?«
    Jamie sah auf. »Nein.«
    »Wieso nicht?«
    Jamie starrte ihn an, dieses Geschenk eines unbekannten Wohltäters, als wäre Graham von Sinnen. »Weil ich erst wenige Stunden zuvor einen Menschen getötet habe, den ich liebe? Weil ich jedesmal, wenn ich die Augen zugemacht habe, diese Minuten wiedererlebte? Sie können es sich aussuchen.« Er wandte sich ab, angewidert und wütend auf Graham, weil der ein solcher Novize war; wütend auf sich selbst, weil er ihm schon zuviel offenbart hatte. Ein paar Sekunden lang sprach keiner ein Wort. Als Jamie weiterredete, mußte er sich anstrengen, seine eigene Stimme zu hören. »Weil ich das erste Mal seit elf Jahren ohne sie an meiner Seite dalag.«
    Graham grinste. Er kostete ihn seine ganze Selbstbeherrschung, nicht von der Schreibtischkante zu hüpfen. »Und genau deshalb«, verhieß er, »werden wir gewinnen.«
    Jamie schüttelte langsam den Kopf. »Der Staatsanwalt hat eine Leiche, ein unterschriebenes Geständnis, Fingerabdrücke, Kratzwunden.«
    »Mag sein«, erwiderte Graham MacPhee. »Aber wir haben Sie. «
    Martha Sully, eine der Richterinnen am Bezirksgericht von Wheelock, war zwar eine sassenach, doch trotzdem meist einer Meinung mit Cam, wenn es darum ging, eine Kaution festzusetzen. Sie saß hinter ihrem Richtertisch und las Cams Verhaftungsprotokoll, wobei ihr auffiel, daß die Anklage auf ›Information oder Annahme‹ beruhte. Sie hatte Jamie bereits gefragt, ob er sich schuldig bekenne.
    »Also«, sagte sie mit Blick auf Cam, »da war ja ganz schön was los an Ihrem Ende der Stadt.«
    Cam grinste. »Könnte man sagen.«
    Er mochte Martha Sully, mochte ihren klaren englischen Akzent voller Höhen und Tiefen. Sie klang ungeheuer konservativ, so als würde sie hinter dem Gestell für ihr Hämmerchen Scones und Sauerteigfladen verstecken. Cam kannte sie als faire Richterin. Nur einmal hatte er sich ihren Zorn zugezogen, als Angus sie in einem Wutanfall im Ortscafé angeschrien hatte, es sei höchste Zeit, diese gottverdammten Windsors vom Thron der Stuarts zu stoßen.
    Martha führte ihre Verhandlungen sehr locker, wenigstens zu Anfang. Sie zog die Brauen hoch und gab Cam damit das Signal, daß sie bereit war. »Euer Ehren«, begann er wohl zum tausendsten Mal, »Im Licht der Beweislage, die sich durch die freiwillige Aussage von Jamie MacDonald und durch unsere Ermittlungen am Tatort ergibt, haben wir ihn wegen vorsätzlichen Mordes verhaftet. Angesichts der Schwere des Verbrechens beantragen wir eine Kaution von fünfzigtausend Dollar.«
    Als er die Summe nannte, suchten Jamies

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