In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)
bring ich dich um«, sagte er. »Ich habe monatelang daran gesessen.«
Flanders holte sich das Programm auf einen anderen Monitor herüber, steckte die Hand in den Datenhandschuh und setzte sich einen weiteren Helm auf. Auf dem zweidimensionalen Bildschirm sah Jamie die Gestalten zweier Männer auftauchen, die in das mit Glas überkuppelte Krankenhausfoyer traten.
Rod pfiff durch die Zähne und blickte zu der eindrucksvollen Kuppel auf. »Ganz hübsch«, sagte er, »aber wie wollen sie die Vogelscheiße von der Kuppel kratzen?«
»Es ist virtuelle Vogelscheiße«, belehrte Flanders ihn. »Jamie denkt an alles.«
»Bist du bereit?« fragte Rod und drehte sich nach rechts, so daß der Tracking-Mechanismus in seinem Datenhelm Flanders erfaßte. Flanders nickte. »Dann los«, signalisierte Rod und raste wie der Blitz durch den Hauptkorridor davon.
Flanders war ihm dicht auf den Fersen und ließ die Füße über das Laufband fliegen, das ebenfalls an das Computersystem gekoppelt war. Jamie nahm einen Schluck Bier und lächelte über die Streiche, die seine Mitarbeiter in einer fremden Welt anstellten: Rollstühle durch die Gänge rollen lassen und hochspringen, um die Neonlampen an der Decke zu berühren. Flanders ging auf seiner Plattform in die Hocke und drückte gegen einen unsichtbaren Widerstand, während er in dem simulierten Krankenhaus über einen Schwesternschreibtisch hinwegsetzte. »Jetzt«, jubelte er, »machen wir richtig einen drauf.«
Ein virtueller Filzstift flog zu Rod hin, der seinen Datenhandschuh ausstreckte, um ihn aufzufangen. »Zu schwer«, kommentierte Rod. »Am taktilen Feedback mußt du noch feilen, Jamie.«
Flanders begann, die jungfräulich weißen Wände vollzukritzeln. »Mein Gott, ich war immer viel zu brav«, erklärte er. »Schon viel früher hätte ich solche Sachen anstellen sollen.«
»Graffiti?« fragte Rod. »Das ist doch was für kleine Kinder.« Er platzte in einen OP neben dem Gang und schleuderte ein Tablett mit Instrumenten zu Boden.
»Um Himmels willen«, schrie Jamie. »Raus da. Alle beide!«
Widerwillig zogen Rod und Flanders ihre Helme und Handschuhe aus. »Was ist denn?« schmollte Rod. »Du mußt das System nur wieder booten, und alles sieht so steril aus wie eh und je.«
Flanders stieß sich vom Terminal ab. »Wer sagt das?« fragte er. »Ich meine, wenn die VR so realistisch ist, daß du alles wirklich fühlst, siehst und empfindest, wer sagt dann, daß es nicht stattgefunden hat?«
»Alle Achtung«, murmelte Rod halblaut. »Drei Bier, und er verwandelt sich in Aristoteles.«
»Nein, ganz im Ernst«, beharrte Flanders. »Wenn ich glaube, daß ich durch dieses Krankenhaus gegangen bin und dort Graffiti an die Wand geschmiert habe … wer will dann beweisen, daß es nicht so war?«
»Wenn sie das Krankenhaus bauen«, meinte Rod gähnend, »Wirst du dein Kunstwerk nicht darin finden.«
»Gut gegeben«, mischte sich Jamie ein. »Damit etwas real ist, muß es irgendeine Wirkung auf die Außenwelt haben. Wenn du einen Bankraub simulierst, dann ist es gleichgültig, ob du dich daran erinnerst oder nicht – weil du danach nicht mehr Geld besitzt als vorher und weil du niemandem dabei geschadet hast.«
Rod lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Gut. Aber wenn du in der VR etwas tust, was – also in der wirklichen Welt keine Spuren hinterlassen würde? Du hast nur deine Erinnerung daran, daß du es getan hast.« Er grinste. »Und wenn jemand zusammen mit dir in ein System geht?« spann er den Faden fort. »Dann habt ihr beide dasselbe erlebt. Was zu beweisen war.«
Jamie zog eine Braue hoch. »Welche Tat würde keine Spuren hinterlassen?«
Rod grinste. »Ehebruch«, sagte er. »Guter alter Computersex. Du hängst an einem Terminal, sie am anderen. Du könntest beim Grab deiner Großmutter schwören, daß du ihre Haut gespürt und sie gerochen hast. Scheiße, mit einem guten Bodysuit könntest du sogar kommen. Und sie spürt alles an ihrem Ende. Kannst du beweisen, daß es nicht wirklich passiert ist?«
»Kein Austausch von Körperflüssigkeiten«, bemerkte Flanders trocken.
»Gut, aber in diesem Fall gäbe es in der Tat keine wahrnehmbare Wirkung auf die Außenwelt; der einzige Beweis wäre daher die Erinnerung der beiden Beteiligten – gleichgültig, ob sie nun Sex in einem echten Bett oder an einem Terminal hatten.« Rod jubelte vor Begeisterung. »Na los, Jamie. Jetzt widerleg das mal!«
Jamie schüttelte den Kopf und begann, die leeren Dosen aufzulesen.
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