In Einer Zaertlichen Winternacht
dämpfte
Gracies Stimmung sichtlich, allerdings nur kurz. Wie die meisten Creeds gab sie
nicht so schnell auf, wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte.
Nachdem Tom und Joseph aus dem Stall
gekommen waren, pumpten sie Wasser in das Becken, um sich zu waschen, und
setzten sich dann zu den anderen an den Tisch. Gracie, die bereits gegessen
hatte, wirbelte herum, um Eintopf, Brot und Butter zu servieren und Milch aus
dem großen Topf, der auf der Hintertreppe stand, zu schöpfen.
Seine
Tochter wollte, dass Miss Mitchell sich wohlfühlte, stellte Lincoln lächelnd
fest. Sie sollte bleiben und ihr alles beibringen, was sie wissen wollte – und
das war nicht wenig. Zu Weihnachten hatte sie sich nicht etwa eine Puppe oder
einen Kreisel gewünscht, wie es die meisten kleinen Mädchen getan hätten – nein,
Gracie wollte ein Wörterbuch.
Wes machte
oft Witze darüber, dass seine Nichte, sobald sie alt genug wäre, um allein in
die Stadt zu fahren, den Courier übernehmen könnte. Und dass er dann bis
an sein Lebensende mit großer Begeisterung nur noch Zigarren rauchen und Poker
spielen würde.
Soweit
Lincoln wusste, tat sein Bruder ohnehin nicht viel mehr als Zigarren rauchen
und Poker spielen – von seiner Vorliebe für Whiskey und der skandalösen
Liebesaffäre mit Kate Winthrop einmal abgesehen, der zufälligerweise das
Diamond Buckle gehörte.
Gracie
betete ihren Onkel Weston an – und Kate.
Juliana
konnte während des Abendessens kaum noch die Augen offen halten. Darum führte
Lincoln sie sofort nach dem Essen in das geräumige Zimmer seiner Mutter. Sie,
Daisy und Billy-Moses konnten sich das große Bett teilen.
Joseph
schlief mit Tom zusammen in einer kleinen Kammer in der Küche, und Theresa
sollte bei Gracie im Zimmer übernachten.
Doch Gracie
war noch nicht ins Bett gegangen. Mit hellwachen Augen sah sie zu, wie ihr
Vater den lauwarmen Kaffee trank, der noch vom Tag übrig war.
»Geh zu
Bett, Gracie«, meinte er.
Tom
trödelte am Herd herum und trank ebenfalls Kaffee. Er lächelte, als Gracie sich
nicht von der Stelle rührte.
»Ich kann
jetzt unmöglich schlafen«, erwiderte sie ernsthaft. »Ich bin zur Gänze viel zu
aufgeregt.«
Lincoln
seufzte. Gracie ging ihm gerade mal bis ans Knie, klang aber manchmal wie ihre
Großmutter. »Weihnachten ist erst in fünf Tagen«, sagte er. »Viel zu früh, um
jetzt schon wegen der Geschenke nervös zu werden.«
»Ich bin
nicht wegen Weihnachten aufgeregt«, erklärte sie mit der übertriebenen
Geduld, die sie auch irgendeinem Dorftrottel gegenüber angeschlagen hätte. »Du
wirst Miss Mitchell heiraten, und dann kann ich immer mit Billy-Moses und Daisy
spielen ...«
Tom lachte
in seinen Kaffeebecher.
Obwohl auch
Lincoln selbst durchaus schon an eine Ehe mit der Lehrerin gedacht hatte, war
er damit wohl etwas zu voreilig gewesen. »Gracie, Miss Mitchell ist nicht
gekommen, um mich zu heiraten. Sie saß in der Stadt fest, weil die indianische
Schule geschlossen worden ist. Deshalb habe ich sie und die Kinder mit nach
Hause genommen.«
»Muss ich
sie immer noch Miss Mitchell nennen, wenn ihr verheiratet seid? Dann heißt sie
doch Mrs Creed, oder? Es wäre aber auch sehr albern, wenn ich herumliefe und
ständig Mrs Creed zu ihr sagen würde.«
»Grade?«
»Was ist
denn?«
»Geh zu
Bett«, wiederholte Lincoln.
»Ich habe
doch schon gesagt, dass ich zu aufgeregt bin.«
»Und ich habe gesagt, dass du zu Bett gehen sollst.«
»Ach, um
Himmels willen«, protestierte Gracie verstimmt. Trotzdem stand sie auf,
verabschiedete sich von Tom und stellte sich auf die Zehenspitzen, um Lincoln
auf die Wange zu küssen.
Ihm wurde
ganz warm ums Herz. Ihre blauen Augen, die ihn so sehr an Beth erinnerten,
funkelten, als sie zu ihm hinaufsah. Dann spiegelte sich in ihnen ein ernster
Ausdruck.
»Sei
freundlich zu Miss Mitchell, Dad«, forderte sie ihn auf. »Steh auf, wenn sie
den Raum betritt, und rücke ihr den Stuhl zurecht. Wir wollen doch, dass es ihr
hier gefällt und sie bei uns bleibt.«
Weil seine
Kehle wie zugeschnürt war und seine Augen brannten, konnte Lincoln nicht
antworten.
»Kommst du
noch, um mit mir zu beten?«, fragte Gracie so wie jeden Abend.
Die Gebete
variierten immer ein wenig, aber manche Zeilen davon blieben gleich.
Bitte
pass auf meinen Dad auf und auch auf Tom. Ich hätte gern einen eigenen Hund,
einen, der mir Stöckchen bringt, und ich möchte in die Schule gehen, damit ich
nicht dumm bleibe ...
Lincoln
nickte. Obwohl er
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