In eisige Höhen
der sich zufällig gerade dort aufhielt, stellte fest, daß der Österreicher sowohl an einem Lungen- als auch an einem Gehirnödem litt. Obwohl der Arzt sofort Sauerstoff und Arzneien verabreichte, war Wlasich um Mitternacht tot.
Drüben auf der nepalesischen Seite des Everest gruppierte sich David Breashears IMAX-Team von neuem und überlegte sich, was nun zu tun sei. Da in ihrem Filmprojekt fünfeinhalb Millionen Dollar investiert waren, wollten sie unbedingt auf dem Berg bleiben und einen Gipfelangriff starten. Mit Breashears, Ed Viesturs und Robert Schauer waren sie zweifellos das stärkste und fähigste Team auf dem Berg. Sie hatten zwar die Hälfte ihres Sauerstoffvorrats an die in Not geratenen Bergsteiger und ihre Retter weggegeben, konnten aber bei Expeditionen, die den Berg verließen, genügend Flaschen abstauben, um ihr Vorratslager wieder aufzustocken.
Paula Barton Viesturs, Eds Frau, die für das IMAX-Team das Basislager leitete, hatte während der Katastrophe am 10. Mai den Funkverkehr im Lager überwacht. Sie war sowohl mit Fischer als auch mit Hall befreundet und war am Boden zerstört. Paula ging davon aus, daß das IMAX-Team nach einer solchen Tragödie automatisch die Zelte abbrechen und sich auf den Heimweg machen würde. Dann hörte sie zwischen Breashears und einem weiteren Bergsteiger ein Funkgespräch mit, in dem der Teamleiter ganz ungeniert erklärte, daß das Team sich nun eine kurze Zeit im Basislager ausruhen und anschließend einen Gipfelversuch starten wolle.
»Nach all dem, was passiert war, habe ich einfach nicht fassen können, daß sie da wieder hoch wollen«, gesteht Paula. »Als ich das Gespräch gehört habe, wäre ich beinahe an die Decke gegangen.« Sie war dermaßen verärgert, daß sie das Basislager verließ und für fünf Tage nach Tengboche ging, um sich wieder zu sammeln.
Am Mittwoch, dem 22. Mai, kam das IMAX-Team bei idealem Wetter auf dem Südsattel an und brach noch in der gleichen Nacht Richtung Gipfel auf. Ed Viesturs, der in dem Film die Hauptrolle spielt, kam am Donnerstag morgen um 11 Uhr auf dem Gipfel an, ohne zusätzlichen Sauerstoff benutzt zu haben. 40
Breashears kam 20 Minuten später an, gefolgt von Araceli Segarra, Robert Schauer und Jamling Norgay Sherpa – dem Sohn des Erstbesteigers Tenzing Norgay, und das neunte Mitglied des Norgay-Clans, das den Gipfel erklomm. Alles in allem erreichten an jenem Tag 16 Bergsteiger den Gipfel, einschließlich des Schweden Göran Kropp, der mit dem Fahrrad von Stockholm aus nach Nepal gereist war, und Ang Rita Sherpa, der zum zehnten Mal auf dem Gipfel des Everest stand.
Auf dem Weg nach oben war Viesturs an den gefrorenen Leichen von Fischer und Rob Hall vorbeigeklettert. »Sowohl Jean [Fischers Frau] als auch Jan [Halls Frau] hatten mich gebeten, ihnen ein paar persönliche Gegenstände mitzubringen«, erzählt Viesturs sichtlich verlegen. »Ich wußte, daß Scott seinen Ehering um den Hals trug, und ich wollte ihn für Jeannie mit runterbringen, aber ich konnte mich nicht dazu überwinden, um seine Leiche herum zu graben. Hab's einfach nicht über mich bringen können.« Anstatt irgendwelche Erinnerungsstücke einzusammeln, setzte Viesturs sich beim Abstieg neben Fischer und verbrachte ein paar Minuten mit ihm allein. »Hey, Scott, wie geht's?« fragte Ed seinen Freund traurig. »Was ist denn passiert, Mann?«
Als das IMAX-Team am Freitagnachmittag, dem 24. Mai, von Camp Vier auf Camp Zwei abstieg, traf es am Gelben Band auf die kümmerlichen Reste des südafrikanischen Teams Ian Woodall, Cathy O'Dowd, Bruce Herrod und drei Sherpas. Sie waren auf dem Weg zum Südsattel, um ihren eigenen Gipfelangriff zu starten. »Bruce schien in großartiger Verfassung zu sein, er sah richtig gut aus«, weiß Breashears noch. »Er hat mir richtig kräftig die Hand geschüttelt, uns gratuliert und gesagt, daß er sich großartig fühlt. Eine halbe Stunde hinter ihm waren Ian und Cathy, die total fertig über ihren Eispickeln hingen und wie ihre eigenen Gespenster ausgesehen haben – wirklich völlig am Ende.
Ich bin dann extra ein bißchen länger bei ihnen geblieben«, fährt Breashears fort. »Ich habe ja gewußt, daß sie sehr unerfahren waren, und also gesagt: ›Seid bitte vorsichtig. Ihr habt ja gesehen, was hier Anfang des Monats passiert ist. Macht euch immer klar, daß auf den Gipfel zu kommen der leichte Teil ist. Richtig schwer wird's erst beim Abstieg.‹«
Die Südafrikaner brachen noch in jener Nacht zum
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