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In eisigen Kerkern (German Edition)

In eisigen Kerkern (German Edition)

Titel: In eisigen Kerkern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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Blick.
    „Die braucht man einfach für dein Gekritzel. Ich will nur schnell die Stelle mit dem Arzt in Denver nachlesen. Ah, da haben wir’s: Ich soll gesund sein, ich glaube es immer noch nicht! Jetzt könnte ich eigentlich umkehren. Aber was soll ich daheim? Mir wird so langsam klar, dass die Krankheit nur ein Vorwand gewesen sein könnte.“
    Andi sah lächelnd zu ihr auf.
    „Eine schöne Stelle. Eine Schlüsselstelle, oder?“
    Nelli nickte.
    „Was für eine Krankheit war das eigentlich?“, fragte er im Plauderton.
    Sie schaute ihn an und ließ in ihrer wachsenden Wut über seine Indiskretion für einen Moment die Maske des gefügigen Opfers fallen. Als er ihren Gesichtsausdruck sah, verflog seine gute Laune.
    „Verstehe, das geht mich nichts an. Besonders mitteilsam bist du ja nicht. Ich hatte mir weiß Gott mehr von dir erhofft.“
    Er beugte sich nach vorn und machte Anstalten, aufzustehen. „Was denn, Andi, was hast du dir erhofft?“
    „Ach, vergiss es!“
    „Sag schon! Wir haben uns doch vorhin so gut unterhalten, als ich den Reifen gewechselt habe.“
    Er stand auf und sah sie verächtlich an.
    „Da hast du mich in die Irre geführt.“
    „Aber wir haben wirklich viel gemeinsam.“
    „Was denn zum Beispiel?“
    Sie überlegte.
    „Da fällt dir nichts ein, oder?“
    „Doch. Wir legen beide nicht viel Wert auf Gesellschaft.“
    „Da irrst du dich, Nelli, gewaltig sogar. Als Hüttenwirt ist Geselligkeit mein wichtigster Wesenszug.“
    „Aber, privat meine ich, da bist du doch eher...“
    Bloß nichts Falsches sagen.
    „...da lebst du doch eher, na, sagen wir mal, zurückgezogen, ich meine...“
    Sein Blick wurde düster.
    „Was meinst du?“
    „Ich meine, du könntest doch im Tal leben, unter Menschen, so wie Gerda, aber du ziehst es vor, auch nachts hier oben zu bleiben.“
    „Das hat mit meinem Projekt zu tun.“
    „Ach ja? Du hast vorhin schon so was angedeutet. Was ist es denn?“
    Er zierte sich, aber begann sichtlich aufzutauen.
    „Na, wenn du schon so direkt fragst, Nelli...“
    Plötzlich strahlte er über beide Backen.
    „Ich finde, es wird Zeit, dass du meinen Gletscher kennenlernst.“
     
    Die Begeisterung, die mit dem Themenwechsel in ihm aufflammte, wirkte unheilvoll.
    „Was meinen Gletscher betrifft, hast du immer noch einen besonderem Wert für mich. Willst du wissen, wieso?“
    Nelli nickte zögernd.
    „Weil du die Welt bereist hast. Naturwunder und Touristen-Attraktionen. Du hast den Mount Everest gesehen, vielleicht feuerspeiende Vulkane, alle Weltmeere, stimmt’s?“
    „Keine feuerspeienden, aber ansonsten...“
    „Dschungel und Wüsten und die höchsten Gebäude der Welt. Riesige Brücken, endlose Wälder, die Pyramiden. Es steht alles hier drin.“
    Er tippte auf Nellis Tagebuch.
    „Sicher auch solchen Quatsch wie Disneyland oder die Hollywood-Studios, kannst es ruhig zugeben.“
    Er sah sie herausfordernd an, grinste aber immer noch.
    „Na komm schon, das ist besonders wichtig.“
    „Was?“
    „Natur und Kultur, sprich Übermenschliches und Menschliches, du hast alles gesehen, oder? Kunst und Kitsch, Ewiges und Vergängliches, Schönheit und Schund. Sag schon!“
    „Ja, warum nicht? Was für mich erreichbar war und was ich mir leisten konnte, das hab ich mir angeschaut.“
    „Und du hast es hier verewigt.“
    Wieder tippte er auf das Tagebuch.
    Nelli nickte.
    „Das wollte ich wissen. Du bist die Expertin, die ich mir immer sehnlichst gewünscht habe.“
    „Expertin wofür?“
    „Für mein Projekt. Du bist es mehr als ich selbst.“
    Er grinste sie verzückt an und schaute dabei halb an ihr vorbei in unbekannte Traumwelten.
    „Wie kann ich dein Projekt besser kennen als du, Andi?“
    „Nicht besser als ich, aber du bist die beurteilende Instanz, mein unabhängiger Kritiker sozusagen. Und du wirst dein Urteil für die Nachwelt verewigen.“
    Tipptipptipp auf das Tagebuch – Klappklappklapp.
    „Du wirst heute Nacht als einzig lebender Mensch außer mir etwas zu sehen bekommen, das alles, was hier drin steht...“
    Wieder tippte er bedeutungsvoll auf ihr Tagebuch. Sein viel zu langer Zeigefingernagel mit dem Dreckrand erzeugte ein Beigeräusch, das deutlich zu unterscheiden war. Klappklappklapp im Gleichklang mit Tipptipptipp.
    „...und ich meine absolut alles, selbst den Mount Everest in Kombination mit Scheiß-Disneyland, um Längen schlägt. Dafür, Nelli, lohnt es sich zu sterben.“
    Er sah sie erwartungsvoll an und verlangte:
    „Jetzt

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