In eisigen Kerkern (German Edition)
jetzt schon todmüde.“
„Ich auch, aber vielleicht kannst du uns ja Kaffee machen. Eine halbe Stunde muss doch noch drin sein.“
Er hielt den Fußkettenschlüssel mit zwei Fingern und schaute sie an. Nelli hatte keine Ahnung, was sie jetzt machen sollte.
Warten, bis er sie von der Fußkette befreit hatte? Wer weiß, was ihm dann einfiel.
Sie war auf Hinauszögern programmiert, und Andi schien zu wittern, dass sie sich in der Defensive verkrochen hatte und keine Gefahr für ihn darstellte. Die Idee zum Angriff schoss ihr so blitzartig in den Kopf, dass sie selbst überrascht war. Andi hatte gerade damit begonnen, ganz leicht und langsam den Kopf zu schütteln.
„Du musst mich ja für völlig bescheuert hal...“
Da hechtete Nelli nach vorn. Im Sitzen war er für sie nicht zu erreichen, er hielt genügend Sicherheitsabstand, aber für einen Sprung war die Distanz genau richtig. Sie hatte sich an die Armlehnen geklammert und mit den Füßen fest abgestützt, eine Haltung der Abwehr und Verteidigung, die jetzt als Startposition ideal war.
Der Stuhl wurde durch den Druck gegen die Armlehnen nach hinten gerammt, stand aber so dicht an der Wand, dass er sich sogleich verkeilte und es Nelli ermöglichte, sich mit aller Kraft abzustoßen.
Andi ließ den Schlüssel fallen. Das war die einzige Reaktion, die ihm noch möglich war, bevor Nelli ihm mit der rechten Faust in den Unterleib boxte.
Sie hatte auf die Hoden gezielt, traf aber sein Schambein. Der Schlag war schmerzhaft genug, dass er sich zusammenkrümmte, den Halt verlor und nach hinten kippte.
Nellis Schwung wurde durch die gespannte Kette der Eisenkugel gebremst, doch sie fiel genau richtig auf seine gespreizten Oberschenkel, um einen Faustschlag dort nachzusetzen, wo sie ursprünglich hatte treffen wollen.
Andi schrie auf, zog die Beine an und krümmte sich zusammen. Nelli ging in die Hocke, packte die Kugel und riss sie in die Höhe. Der Raum am Fußboden war zu beengt, um schnell genug an seine Kopfseite gelangen zu können, sie hätte am Schreibtisch vorbei über seinen Hintern steigen müssen mitsamt der Eisenkugel.
Also hob Nelli die Kugel so hoch die Kette es erlaubte und ließ sie statt auf seinen Kopf auf seine Hüfte fallen. Das 30-Kilo-Gewicht traf sein Becken am Oberschenkelhals. Andi zuckte und stieß ein kehliges „Oghh!“ aus – dann rutschte die Kugel auf seine andere Körperseite und riss Nelli die Beine weg.
Sie fiel gegen den Schreibtisch, stieß sich die Rippen an der Kante, aber klammerte sich fest und verhinderte einen unkontrollierten Sturz.
Andi zog die Beine unter der Kette weg, wodurch auch Nellis Position sich verbesserte, aber die Kugel noch mal hochzureißen und ihm den Rest zu geben, daran war nicht mehr zu denken.
Mit einem Ruck des rechten Fußes zerrte sie das Eisenteil zu sich heran, zog sich am Schreibtisch hoch und beugte sich zu den Kerzen hinüber.
Sie kam nicht hin - würde um den Schreibtisch herum müssen. Und dann?
Der Schlüsselbund fiel ihr ein. Einstecken, Tagebuch packen und raus hier? Oder schnell die Kugel entfernen?
Andi, zwei Meter von ihr entfernt am anderen Ende des kleinen Raumes kauernd, versuchte aufzustehen. Er starrte sie an, das Gesicht schmerzverzerrt. Den Schlüsselbund sahen sie gleichzeitig. Nelli war näher dran.
Mit einem Schritt nach vorn hatte sie ihn. Andi ließ sie gewähren.
„Hör zu“, sagte Nelli schnaufend, „lass mich einfach verschwinden.“
Er reagierte nicht. Vorsichtig nahm sie den Schlüssel, den sie sich gemerkt hatte, zwischen zwei Finger und näherte sich damit dem Fußkettenschloss.
„Ich will nur mein Tagebuch und mein Fahrrad, den Rest kannst du behalten. Ich zeig dich nicht an, versprochen.“
Er sammelt Kräfte, dachte sie. So wie er da hockte, war mit allem zu rechnen.
Das Schloss sprang auf.
Andi rührte sich nicht, aber sein Gesicht entspannte sich, sein Schnaufen ließ nach.
Sie öffnete den Bügel des Schlosses, löste die Fußfessel und war frei.
„Den Schlüsselbund leg ich hierher auf den Schreibtisch, okay? Sag du mir dafür, ob mein Fahrrad noch vorm Haus steht.“
Andi grinste, unterbrochen von einem kurzen Schmerzanfall, als er die Hüfte bewegte. Er seufzte und schwieg, verharrte in Lauerstellung.
Eine blöde Situation, nicht viel besser als vor ihrem Angriff. Andi kauerte genau zwischen ihr und dem Durchgang zum Lagerraum und damit zum Hinterausgang. Blieb der unbekannte Nebenraum Richtung Vorderausgang. Natürlich würden alle
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