Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In eisigen Kerkern (German Edition)

In eisigen Kerkern (German Edition)

Titel: In eisigen Kerkern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
Vom Netzwerk:
Ausgänge zugesperrt sein.
    „Wahrscheinlich brauche ich deinen Schlüsselbund, um aus dem Haus zu kommen, oder? Ich lasse ihn nach Gebrauch stecken.“
    Sie griff nach den Schlüsseln und nahm sie an sich.
    Andi beobachtete es schweigend. Als Nelli zwischen ihm und dem Schreibtisch hindurchwollte zur unbekannten Tür, begann er aufzustehen. Ganz langsam und stöhnend, die rechte Hand an die Hüfte gepresst, aber er kam in die Höhe und stand schließlich etwas schief auf dem unversehrten Bein vor ihr.
    Nelli zögerte.
    Keine Waffe, verdammt! Und keine Ahnung, welcher Schlüssel zu welcher Tür passte. Das Tagebuch außer Reichweite. Und selbst wenn die Hüfte gebrochen war und er nicht würde laufen können, er war nah genug, um sich einfach in ihre Richtung fallen zu lassen, sich an ihr zu verkrallen, sie mit seinem bloßen Gewicht festzusetzen und langsam zu erwürgen.
    Nelli zog sich einen Schritt in die andere Richtung zurück, in den entgegengesetzten Winkel des Raumes, wo der Stuhl stand, auf dem sie angekettet gesessen hatte.
    Und da war noch was: die Glasvitrine.
     
    Rasch stopfte sich Nelli den Schlüsselbund in die Tasche.
    Andi, der ihren Blick zur Vitrine richtig gedeutet hatte, straffte sich alarmiert.
    „Finger weg!“, brüllte er, als sie versuchte, eine der Schiebetüren zu öffnen.
    Versperrt.
    Kurzerhand holte sie aus und schlug das Glas mit der Faustunterseite in Scherben. Heftiger Schmerz, als sie sich schnitt, zugleich Erschrecken, als Andi einen Hüpfer in ihre Richtung machte. Sie riss ein verblichenes Stück Papier an sich, eine Landkarte.
    Andi stolperte in ihre Richtung, und sie wich vor ihm ins hinterste Ecke zwischen Vitrine und Schreibtisch zurück.
    „Weg von mir, oder ich zerfetze das Ding!“
    Sie hielt das Dokument mit beiden Händen und merkte nicht, dass aus der Schnittwunde an ihrer rechten Handkante Blut auf die Karte lief. Andi sah es und wurde rasend.
    „Pass doch auf!“, schrie er mit überschnappender Stimme. Nelli begriff, was er meinte, und wechselte den Griff.
    Das Material fühlte sich speckig an.
    Als sie ihr eigenes Blut darauf sah, wurde ihr übel und schwindelig. Sie gab sich einen Ruck und nahm demonstrativ Zerreiß-Haltung ein. Andis mühsam beherrschte Raserei entlud sich in einem Zittern, das an den Händen begann und sich auf die Arme übertrug.
    „Das ist eine handgezeichnete Karte aus dem späten Mittelalter.“
    Auch seine Stimme zitterte, und sein Blick war hasserfüllt.
    „Es gibt auf der ganzen Welt kein Dokument mehr, das den Gletscher in seiner damaligen Ausdehnung zeigt und dazu den alten Höhenweg über den Pass. Wenn der Karte was passiert, dann erlebst du die Hölle.“
    Der Schnitt in Nellis Hand stach und brannte. Sie fühlte ihren Kreislauf zusammenbrechen. Schon tanzten vor ihren Augen schwarze Flecken. Sie begann zu schwanken.
    „Ich will nur hier raus, Andi.“
    Noch vor Sekunden, als sie die Karte erobert hatte und sich in die Ecke gedrängt sah, wollte sie mit einem Sprung über den Schreibtisch zur Tür gelangen. Jetzt fühlten ihre Beine sich so blutleer an, dass sie kaum noch stehen konnte. Sie kämpfte gegen die Ohnmacht.
    Andi, auf den Stuhl gestützt, schob sich ein Stück auf sie zu.
    „Gib mir die Karte, oder dein Tod dauert Monate, Nelli. Wirklich, solche Schmerzen kannst du dir gar nicht vorstellen.“
    Er schob den Stuhl ein weiteres Stück auf sie zu.
    Nelli reagierte sofort.
    Sie riss die linke obere Ecke der Karte ab und ließ sie fallen. Andi schrie auf. Es klang wie Hahaaaa!
    „Zurück“, flüsterte Nelli und kämpfte gegen den Brechreiz.
    Er rückte den Stuhl ein Stück nach hinten und starrte sie an.
    „Ganz weg, los!“
    „Dein Kreislauf spielt verrückt. Du kippst wahrscheinlich gleich um.“
    „Weg!“
    Sprechen förderte den Brechreiz. Sie atmete kurz und stoßweise. Die schwarzen Flecken vor ihrem Sichtfeld wurden größer, hinter der Stirn baute sich ein Druck auf, der ständig zunahm.
    „Leg die Karte einfach auf den Schreibtisch, Nelli, dann lass ich dich in Ruhe.“
    Sie spürte die Karte zwischen ihren Fingern nicht mehr. Ihr Körper ging ihr verloren. Der Raum begann sich zu drehen.
    „Wenn du’s nicht tust...“
    Die Karte entglitt ihr, und sie merkte es nicht. An den Schreibtisch gelehnt, sackte ihr Oberkörper nach vorn, aber sie hielt sich auf den Beinen.
    Die Karte war zwischen ihr und Andi auf dem Boden gelandet. Sie hatte sie vergessen, aber sie wusste noch, dass da etwas war, das sie

Weitere Kostenlose Bücher