Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In eisigen Kerkern (German Edition)

In eisigen Kerkern (German Edition)

Titel: In eisigen Kerkern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
Vom Netzwerk:
mit einer Landstreicherin zu tun hat. Es ist eine ganz einfache Sache!“
    Nelli schüttelte ernst den Kopf.
    „Da täusch dich mal nicht. Es ist ganz schwer, einen Menschen zu töten, das kann ich dir aus Erfahrung sagen.“
    Sie umklammerte Stefanies Handgelenk, mit dem die ihren Lenker festhielt, und drückte zu. Zunächst gab es keine Reaktion, aber als sie fester und so fest zudrückte, dass ihre eigene Hand sich vor Anspannung verfärbte, begann sich Stefanies Gesicht zu verkrampfen, und schließlich ließ sie mit einem leisen Keuchen los.
    Nelli schüttelte die Hand ihrer Schwägerin ab, fasste den Lenker an beiden Griffen und schob das Fahrrad auf die Straße. Ohne sich noch einmal umzudrehen, stieg sie auf und fuhr los.
     
    Nicht weit entfernt, auf einer Bank am Waldrand des Theresiensteins unterhalb der Tennisplätze, lehnte sie ihr Fahrrad an, wollte sich setzen, setzte sich aber doch nicht. Sie wartete auf eine Reaktion. Irgendwas tief in ihr drin musste sich geregt haben bei einem derartigen Frontalangriff von hasserfüllter Mordabsicht. Leere Drohungen waren das nicht gewesen. Stefanie war ihr nur allzu gut in Erinnerung als eine Frau, die nichts sagte, was sie nicht auch tun würde.
    Nelli lauschte in sich hinein, und zu ihrer Verblüffung fühlte sie Trotz aufsteigen. Die Schuldgefühle der letzten Jahre, die sie fast in den Tod und schließlich hierher zurück getrieben hatten, verloren an Bedeutung. Die Wunde war vernarbt. Sie hatte um Verzeihung gebeten, mehr konnte sie nicht tun. Betteln war nicht drin.
     
    Nelli ließ die Räder bergab rollen, am Eisteich vorbei Richtung Stadtzentrum, und suchte nach einem öffentlichen Telefon.
    An der Michaelisbrücke fiel ihr eine Veränderung auf, die ihr neu war, schon auf dem Herweg hatte sie nicht recht begriffen, was das sollte: Jemand hatte am Saaleufer eine Riesenansammlung kunterbunter Schilder an Holzpfähle geschraubt – der reinste Irrgarten war das. Ein solches Sammelsurium ließ sich nicht in ein paar Wochen zusammentragen. Das Schilder-Durcheinander weckte ein Bild in Nelli, einen ersten Ansatz von Begreifen, wie verstreichende Zeit, sichtbare Veränderungen und sich anreichernde Eindrücke miteinander in Zusammenhang standen. Sie hätte das aufschreiben müssen, um es greifbar zu machen, hätte...
    Nicht abschweifen! Suchen!
    Aber ein Telefon war hier nirgends zu sehen.
    Nelli bog an der nächsten Ampelkreuzung links ab, strampelte die Ludwigstraße hoch Richtung Rathaus und daran vorbei zur Altstadt. Spätestens an der Stadtpost würde sie telefonieren können. Sie hielt Ausschau und duckte sich zugleich vor möglichen Bekannten von früher. Sie erkannte die meisten der Geschäfte ringsum, glaubte sich zurückversetzt in frühere Zeiten und fühlte sich zugleich fremd in der Stadt, in der sie aufgewachsen war und ihr ganzes Leben verbracht hatte – bis auf die zurückliegenden sieben Jahre.
    Am Postplatz angekommen, lehnte sie ihr Fahrrad an eine der Telefonstelen und fischte ihren Bauchbeutel unter dem T-Shirt hervor. Ach ja, das Kleingeld war aufgebraucht. Nur noch zwei Scheine: ein Zehner und ein Zwanziger. Der Zehner musste reichen.
    Auf der anderen Seite des Hauptpostgebäudes sah sie am Eck vor dem Ampelübergang eine Imbissbude, die auch vor ihrer Weltreise schon hier gestanden hatte. Sogar die Frau hinter dem Wurstkessel war noch dieselbe. Nelli erkannte sie, aber wurde nicht von ihr erkannt.
    Der Duft der Würste und Steaks verursachte in Nellis Magen ein schmerzhaftes Ziehen. Aber sie hatte ihre Prioritäten. Prioritäten waren wichtig bei einem Leben, wie sie es führte. Erst der Telefonanruf. Dann ein ruhiges Plätzchen zum Nachdenken. Und dann entscheiden, wie es weitergehen würde. Erst danach, vielleicht, was zu essen.
    „Können Sie bitte wechseln?“
    Die Frau schaute sie leicht genervt, aber nicht unfreundlich an, wollte eigentlich ablehnen, aber offenbar war Nellis Anblick mitleiderregend genug, um ihr zu helfen. Auf Anstehen am Postschalter hätte sie jetzt keine Lust gehabt, und wer weiß, ob die am Schalter so gerne wechselten, ohne dass jemand Briefmarken kaufte.
    „Wenn möglich in Fünfzigern bitte“, sagte Nelli.
    Die Frau gab ihr eine Handvoll Münzen. Nelli hätte zu gerne Trinkgeld gegeben, aber im Moment konnte sie auf keinen Cent verzichten. Wenn vom Telefonieren was übrig bliebe, würde sie vielleicht die Prioritäten ändern und gleich danach eine Wurst kaufen. Bevor sie über ihre Zukunft

Weitere Kostenlose Bücher