In ewiger Nacht
mitbringen, Sie wissen schon, welche«, sagte die höfliche Sekretärin. »Einen schönen Abend noch.«
»Oha!«, sagte Dima fröhlich, als er aufgelegt hatte. »Du hast recht, hier kommen wir nicht zum Küssen. Und die haben auch recht.«
»Musst du zum Rapport antreten?«
»Und ob! Beim stellvertretenden Generalstaatsanwalt.«
»Oh.« Olga verzog das Gesicht. »Ist das so ein Fetter mit einer tiefen Stimme, der dauernd im Fernsehen aufritt, bei Pressekonferenzen und Talkshows?«
»Genau der.«
»Ein Hysteriker. Demonstriert nach außen hin heftige Emotionen, ist aber innerlich total kalt, berechnend und schrecklich feige. Er lügt mühelos, ohne rot zu werden, wie alle Hysteriker. Verträgt keinen Widerspruch und keine Kritik.«
»Woher weißt du das?«, fragte Dima erstaunt.
»Berufskrankheit.« Olga lachte. »Ist mir manchmal selber unheimlich. Sei vorsichtig bei ihm.«
»Mach ich.« Dima schaltete den Computer ein und zauberte von irgendwoher eine kleine Papierhülle hervor. »Bist du bereit, einen Blick auf Moloch zu werfen?«
Olga wurde blass.
»Er ist auf dieser DVD? Moloch?«
»Warte, nicht gleich nervös werden, vielleicht erkennen wir auch gar nichts. Und denk dran, es ist kein schöner Anblick. Er ist mit einem Mädchen drauf. Mit Shenja Katschalowa.«
Der Mann auf dem Video war gut gebaut. Groß, kräftig, muskulös; starker, sehniger Hals, der ganze Körper üppig grau behaart.
»Schau hin«, sagte Dima, »du hattest recht. Er ist faktisch ein Kastrat. Was ist das, was meinst du?«
»Augenscheinlich eine angeborene Missbildung, eine Unterentwicklung. Das kommt vor, keiner weiß, warum. Aber in der Regel ist in solchen Fällen auch der Hormonhaushalt gestört. Doch Moloch wirkt wie ein vollwertiger Mann. Vielleicht ein XYY-Chromosom, ein überschüssiges männliches Chromosom. Solche Patienten sind sehr groß, behaart und aggressiv. Allerdings sind sie meist geistig zurückgeblieben. Was man von Moloch nicht gerade behaupten kann. Jedenfalls ist jetzt klar, warum er verrückt geworden ist. Er will, und zwar sehr, aber er kann nicht. Und das sein Leben lang.«
Plötzlich klang Olgas Stimme wie vereist. Dima erwartete, dass sie ihn gleich bitten würde, den Computer auszumachen. Der Anblick war wirklich widerwärtig. Das mit brauner und grüner Farbe beschmierte Gesicht, Shenja, noch lebendig, aber bereits zum Tode verurteilt, die Angst und der Ekel in ihrem Gesicht. Die Hände des Mörders an ihrem Körper. Die eigenartigen tiefen, knarrenden Laute, die er ausstieß.
»Na, immerhin haben wir jetzt ein ›besonderes Kennzeichen‹«, sagte Dima.
»Klar, aber um ihn damit zu finden, müssten wir jedem die Hosen runterlassen.« Olga zündete sich eine Zigarette an. »Kannst du dieses Bild mal anhalten? Und jetzt vergrößern.«
Auf dem Monitor waren Molochs Kopf und sein Rücken. »Was genau?«
»Den Kopf. Den Scheitel. Gut. Ein bisschen zurück. Ja, stopp.«
Sie drückte die Zigarette aus, stand auf, ging zum offenen Fenster, sog gierig die feuchte Abendluft ein.
»Nein. Das ist unmöglich.«
»Was sagst du?«
»Nichts, Dima, nichts. Ich hab mir was eingebildet.«
Die Räder schleuderten Spritzer nach allen Seiten. Der Regen strömte über die Windschutzscheibe. Die abendliche Stadt war in den Regen gehüllt wie in ein Spinnenetz. Die roten Lichter spiegelten sich auf dem nassen Asphalt. Der gewaltige Leib der ewigen Nacht blutete. Das Blut schäumte im Regen.
Die Finsternis wusste, dass der Wanderer beschlossen hatte, einen ihrer Apostel zu vernichten, die Wandlingsfrau.
Er parkte den Wagen in der Parallelstraße.
Niemand bemerkte, wie ein stattlicher Mann in einer leichten Regenjacke mit Kapuze in den schmalen Spalt zwischen den Häusern schlüpfte.
Von hier war der Hof gut zu überblicken. Über dem Hauseingang brannte eine Lampe. Das Nachtsichtgerät hatte der Wanderer im Auto gelassen. Das würde er erst später brauchen.
In seiner Jackentasche lagen ein Nylonsack und eine Spritze mit Narotal, einem Psychopharmakum der neuen Generation. Es verursachte einen kurzen, sehr tiefen Schlaf. Nach dem Erwachen waren die Reaktionen verlangsamt, der Patient verspürte Mattheit und leichte Übelkeit, war aber bei klarem Verstand.
Der Wanderer presste einen kleinen Affen aus rauchgrauem Sarder in der Hand, für ihn zugleich Talisman und Waffe.
»Wie wär’s, fahren wir zu mir?«, fragte Dima, als sie ins Auto stiegen.
Er kannte ihre Antwort, aber er fragte trotzdem,
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