In Gedanken bei dir (German Edition)
zerlaufender Sprühsahne, hätte Jolie dazu gesagt
und hätte kichernd das Konzert der fernen Nebelhörner der Schiffe unter der
Golden Gate Bridge mitgesummt: »Boooo!« und »Bwwww!«
Cassie
packte die neue Bettwäsche aus, um Jolies Bett frisch zu beziehen. Mit den
lebendigen Farben der selbst gestalteten Bettbezüge versuchte sie gegen die
kalte Neonbeleuchtung des Zimmers und die sterile Krankenhausatmosphäre mit
piepsenden Infusionspumpen und dem süßlichen Duft der Chemo anzugehen.
Die
Motive, die sie jede Woche in einem Laden in der City auf die Decken- und
Kissenbezüge drucken ließ, hatte sie während ihrer Arbeit als
Unterwasserarchäologin bei der UNESCO in aller Welt fotografiert. Auf der
Bettwäsche waren romantische Schiffswracks in dunkelblauem Wasser zu sehen. An
einer glitzernden Schnur aus Blubberbläschen schien eine kleine Taucherin im
bunten Neoprenanzug zu hängen: Das war sie. Auf einem anderen Foto schwebte sie
in einem Wirbel bunter Fische im türkisblauen Wasser über einem tropischen
Korallenriff. Jolies liebste Schmusebettwäsche zeigte ein Wrack, das an den
Felsklippen vor einer Insel zerschellt war: Mit hochgeschobener Taucherbrille
hockte Cassie im kurzen Tauchanzug auf den Felsen, paddelte mit den Flossen im
Wasser und winkte.
Das
heutige Foto war erst vor wenigen Tagen entstanden, als Nick und Cassie zum
kürzlich entdeckten Schiffswrack der Armada of Golden Dreams in der San
Francisco Bay getaucht waren. In einer Wolke von silbrig schimmernden
Atembläschen schwebten Nick und sie, beide mit schwarzen Neoprenanzügen und
neongelben Pressluftflaschen, über dem Wrack und erforschten es.
Wie
bei allen anderen Motiven hatte Cassie auch auf diesem Foto mit Photoshop einen
Schatz versteckt, den Jolie suchen musste, im Sand neben dem Wrack, zwischen
den Planken oder hinter dem Korallenriff. Auf allen vieren tobte ihre kleine
Abenteurerin dann kichernd über das frisch bezogene Bett und sah sich das neue
Bild mit ihrer archäologischen Ausrüstung – Taschenlampe und Digitalkamera –
ganz genau an. War das immer ein Spaß!
Auf
diese Weise konnte sie Jolie an ihrem Leben teilhaben lassen, auch wenn sie
nicht immer bei ihr sein konnte. So oft wie möglich schlief Cassie bei ihr in der
Klinik, und Nick löste sie oft dabei ab. Aber manchmal wollte sie auch einfach
bei ihm sein, wie heute Nacht. Zu zweit allein, zwei Liebende, die in den Armen
des anderen schwach sein durften, verzweifelt, traurig.
Wie
viel hatten Nick und sie gemeinsam durchgestanden. Die Erfahrung, gemeinsam ein
aufgewecktes Kind wie Jolie großzuziehen, die Schwangerschaft, Cassies
Zusammenbruch, die Trennung von Nick, die schlaflosen Nächte und die panische
Angst um ihre Kleine, die unzähligen Fahrten in die Klinik, all das hatte an
ihren Kräften gezehrt und hatte sie oft regelrecht überfordert. Nick und sie
brauchten dringend ein bisschen Zeit nur für sich. In den letzten Wochen saßen
sie sich allzu oft beim Abendessen auf der Veranda des Hausboots gegenüber,
starrten auf die nebelige Bay und schwiegen sich an. Nach der Trennung waren
sie wieder ein Paar, ja klar, aber sie mussten auch die Kraft haben, weiterhin
zusammen zu bleiben ... einander Halt zu geben ...
Fußgetrappel und Kinderlachen drangen vom Gang
zu ihr herein. Der Duft von heißem Kakao überdeckte den allgegenwärtigen Geruch
von Medikamenten und Desinfektionsmitteln.
»Hallo,
Dr Lacey«, rief eine helle Kinderstimme von der Tür her.
Cassie
drehte sich zu dem kleinen Jungen um, der mit dem Teddy im Arm seinen
Infusionsständer vor sich her schob. Durch einen Schlauch tropfte eine klare
Flüssigkeit in seinen Hickman-Katheter, dessen Silikonschläuche aus dem Kragen
seines Batman-Shirts samt Fledermausohrenkapuze und schwarzem Umhang hingen.
Finn
war ein kleiner Superheld, wie Batman. Seine Überlegenheit als Kämpfer basierte
auf Willenskraft, Durchhaltevermögen und technischen Hilfsmitteln. Sein
High-Tech-Infusionsständer trug ebenfalls das Batman-Logo: Er war Finns
Batmobil, an dem ein ganzes Waffenarsenal an Einwegspritzen aller Größen hing,
seine Waffen im Kampf gegen die Macht des Bösen, den Krebs in seinem Blut. Und
gegen die Angst, die die beherzten kleinen Helden auf dieser
pädiatrisch-onkologischen Station jeden Tag erlebten: die Furcht vor dem
Verlassenwerden, wenn ihre Eltern die Nacht nicht in der Klinik verbringen
konnten, der Schrecken vor den Schmerzen der Behandlung und die Angst vor
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