In Gedanken bei dir (German Edition)
dagegen schon ein
bisschen aus der Fassung gebracht. Das habe ich bei unserer Wanderung über die
Bimssteinebene gemerkt. Ich kann mich nicht erinnern, wann wir das letzte Mal
Händchen gehalten haben. Aber okay, ihm hat es gefallen. Und mir auch. Es
fühlte sich schön an. Sicher. Warm. Vertraut.
Cassie
fand es schön und ergreifend, wie Alex ihr mit leuchtenden Augen die ständigen
Veränderungen in diesem »Living Laboratory« gezeigt und die geologischen und
biologischen Prozesse erklärt hatte. Während sie eine Herde Wapitis
beobachteten, standen sie auf einem dicht gewebten Teppich von blauen
Prärie-Lupinen, und die Gegend war ein Paradies der Farben und Düfte, erfüllt
vom Summen und Brummen, Pfeifen und Zwitschern. Aber am Loowit-Wasserfall, über
den das Schmelzwasser aus dem Gletscher im Krater in die Tiefe stürzte, sah die
zerklüftete Landschaft aus wie am Beginn der Zeit, als die Erde entstand, und
mit ihr das Leben.
Cassie
holte ihren ledernen Rucksack vom Beifahrersitz, steckte Tablet und Smartphone
ein, schloss den Wildtrak ab und ging am Visitor Center vorbei auf die Terrasse
hinter dem Haus, um den abendlichen Blick auf das weite, von dichten Wäldern
gesäumte Tal des Toutle River und den nur schemenhaft erkennbaren Mount St
Helens am ascheverschleierten Horizont zu genießen. Als Alex und sie vor einer
Stunde den Vulkan beobachteten, fegte der Wind über die Bimssteinebene und
wirbelte die Asche auf. Die Wolke, die immer noch aus dem Krater aufstieg,
glühte im Licht der tief stehenden Sonne, als würde der Vulkan heiße Lava in
den Abendhimmel schleudern.
Das
Restaurant mit Blick auf die geparkten Helikopter hatte schon geöffnet, doch
unter den weißen Sonnenschirmen auf der Sonnenterrasse saß noch niemand. Durch
die Glastüren warf Cassie einen Blick ins offene Foyer, aber Alex suchte nicht
nach ihr.
Sie
ging hinein. Sollte sie sich auf das rustikale Ledersofa setzen, die
Übersichtskarten für die Helikopterflüge zum Krater anstarren und auf ihn
warten? Oder sollte sie sich schon mal ins Fire Mountain Grill, das kleine
Restaurant im Western-Style, hocken und ein Bier bestellen ... nein, zwei? Oder
doch lieber einen Rotwein? Alex liebte kalifornischen Cabernet Sauvignon, das
wusste sie noch.
Cassie
blätterte in der Weinkarte, die am Eingang auslag. Silverlake Winery,
Washington, das klang doch interessant. Ein Fire Mountain Red. Sie las die Beschreibung: intensive Aromen von
Brombeere und Pflaume und ein pfefferiger Abgang. Hey, der Wein würde ganz toll
zu ihrem Buffalo Burger passen!
Sie
durchquerte das Foyer und ging zur Eingangstür, um den Parkplatz zu
überblicken. Kein Chevy Blazer. Kein Alex.
Der
Anruf schien doch länger zu dauern.
Na
gut, dann würde sie sich die Zeit eben im Gift Shop vertreiben. Auf die
Ausstellung über den Ausbruch von 1980 im oberen Stockwerk hatte sie keine Lust
– sie war einfach zu müde.
Die
Verkäuferin an der Kasse erkannte sie gleich wieder. »Hi«, strahlte sie Cassie
an. »Sie waren heute schon mal hier.«
»Das
stimmt.«
»Sie
haben alles von Alex Lacey gekauft. Die Bücher und die Videos. Ein ganzer
Stapel.«
»Genau.«
Die
junge Frau lehnte sich gegen den Kassentresen. »Jetzt sind sie wieder da.
Brauchen Sie noch was?«
»Ja«,
konnte Cassie sich nicht verkneifen zu sagen. »Alex Lacey.«
Die
Verkäuferin lachte ausgelassen. »Er ist verheiratet.«
»Ich
weiß«, sagte Cassie. »Mit mir.«
»Echt
jetzt?«
»Yup.«
» Sie sind Dr Cassie Lacey?«
»Schon
seit zehn Jahren.«
»Ich
habe eine Nachricht für Sie. Warten Sie ...« Die junge Frau kramte einen Zettel
aus der Tasche ihrer Jeans und entfaltete ihn. »Die Nachricht ist von Mick.«
»Nick,
er heißt Nick.«
»Aha?
Er klang jedenfalls sehr nett. Sie sollen Karen anrufen.«
»Wann
haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Heute
Mittag. Gegen halb zwölf? Ich weiß nicht mehr.«
»Ah,
okay.« Einen Augenblick lang hatte sie befürchtet, Jolie ginge es schlechter.
Aber sie hatte danach mit ihr telefoniert. Ja, okay, Jolie klang müde
und verheult, aber sie fühlte sich gut. Und Nick war bei ihr – er hatte gerade
mit der Maklerin wegen seines Hauses telefoniert. »Danke.«
Sie
schaltete ihr Smartphone ein und wählte Karens Nummer in der Klinik. Es
klingelte lange, aber sie ging nicht ran. Cassie schaute auf die Uhr. Kurz nach
sieben. Entweder war Karen schon auf dem Weg nach Hause oder, falls sie heute
länger blieb, beim Abendessen. Sollte sie es auf ihrem Handy
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