In Gottes Namen
wirkt jetzt leidenschaftlich und wesentlich entschlossener. »Mr. Riley, sie hat seit Jahren nicht mehr mit Leo gesprochen. Niemand von uns hat das. Nach den ganzen Vorfällen gab sie Leo ausreichend Geld, damit er sein Leben bestreiten konnte, und kaufte ihm ein Haus in der Stadt, aber sie wechselte nie wieder ein Wort mit ihm.«
Richtig. Die Polizei ist auf ein Bankschließfach gestoßen mit fast einer Million Dollar auf Leo Koslenko Namen. Koslenko war niemandem mehr verpflichtet. Er handelte auf eigene Rechnung. Er versuchte, die Frau zu schützen, die er liebte. Niemand sollte je etwas über Cassie herausfinden.
»Mutter hielt sich bei Freunden in der Toskana auf, als Leo anfing, zu morden. Sie wusste überhaupt nichts davon, bis die Polizei sie in Italien kontaktierte. Auch ich hatte keinen Schimmer. Als Sie mich am See besuchen kamen, hörte ich zum ersten Mal davon.«
Das klang plausibel. Allerdings haben sie und ihre Mutter sich daraufhin sofort abgesprochen und mir und den Cops die gleiche erfundene Geschichte erzählt. Sie beschuldigten Leo, und sie beschuldigten Albany.
Schließlich jedoch erleichterte Cassie – als Gwendolyn – insofern ihr schlechtes Gewissen, als sie Harland und Albany entlastete. Vermutlich war ihr klar, dass Leo an diesem Punkt nicht mehr zu retten war; er war eindeutig verantwortlich für die Morde an Ciancio, Evelyn Pendry und Amalia Calderone sowie für den Mordanschlag auf Brandon Mitchum. Aber Harland und den Professor konnte sie noch retten. Sie und ihre Mutter hatten zunächst den Verdacht auf die beiden gelenkt, aber an diesem letzten Tag war sie in den Salon marschiert und hatte Cassie preisgegeben – sich selbst. Sie hatte offenbart, wer Ellie wirklich getötet hatte, zur großen Überraschung und gegen den Widerstand ihrer Mutter. Sie versuchte, das Richtige zu tun, ohne dabei ihre wahre Identität aufzudecken. Sie tat ihr Möglichstes. Ihre Mutter mochte bereit sein, Albany, ja sogar Harland zu opfern, nur um Cassie zu schützen, aber Cassie ließ das nicht zu.
Und nur deshalb habe ich bisher über die ganze Sache geschwiegen, mir mein abschließendes Urteil aufgespart, bis ich sie selbst gesprochen hatte. Cassie hat ein Mädchen getötet, ihre beste Freundin, aber unter außergewöhnlichen Umständen. Das Gesetz sieht gewisse Entlastungsmöglichkeiten vor – extremen emotionalen Stress, vorübergehende geistige Verwirrung – ein unbeholfener Versuch, widerstreitende soziale Einwirkungen auf den Täter in Rechnung zu stellen und eine Balance zwischen Strafe und Verständnis zu erzeugen. Keine Ahnung, wie ein Richter das sehen, wie eine Jury hier entscheiden würde. Ich habe vielleicht mehr als jeder andere die Konsequenzen einer harten und buchstabengetreuen Auslegung des Gesetzes miterleben können.
Damals verschwendete ich keinen Gedanken darauf, ob Terry Burgos vielleicht schuldunfähig sein könnte. Stattdessen machte ich mich sofort daran, diese Möglichkeit auszuschließen und Beweise anzuhäufen, um seine Verteidigung zu untergraben, wobei ich mir die ganze Zeit einredete, er habe ja einen Anwalt, es gäbe ja eine Jury, das System werde schon dafür sorgen, dass am Ende die Wahrheit herauskäme.
Aber ich war Staatsanwalt. Und bei diesem Job geht es um mehr als nur darum, vor Gericht zu gewinnen. Trotzdem sah ich in jedem Beweis für Burgos’ Psychose – und davon gab es eine Menge – nur ein Hindernis auf dem Weg zum Sieg, eine Tretmine, die ich umgehen, etwas, das ich diskreditieren musste. Dabei war mir egal, ob ich recht hatte oder nicht. Diese Frage habe ich mir nicht einmal gestellt.
Vielleicht werde auch ich irgendwann zu der Einsicht gelangen, dass Burgos’ Taten unvermeidlich waren, dass bei ihm früher oder später ohnehin die Sicherungen durchgebrannt wären. Hätte nicht Ellies Leiche ihn entfesselt, dann möglicherweise irgendetwas anderes. Jemand, der so labil war, hätte vermutlich so oder so irgendwann zugeschlagen. Und gleichzeitig werde ich mir vor Augen führen, dass unentschuldbar ist, was er getan hat. Er war eine Gefahr für die Gesellschaft. Er hat vier junge Frauen getötet. Vermutlich ist das eine innere Debatte, die ich bis ans Ende meines Lebens austragen werde.
»Tun Sie, was Sie tun müssen«, sagt Cassie leise, und in ihren Augen glitzern neue Tränen. »Ich werde mich nicht widersetzen. Ich bin – ich bin es so leid, davonzurennen.«
Es liegt im Ermessen eines Staatsanwalts, ob er einen Fall zur Anklage bringt oder
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