In Liebe, dein Mörder: Thriller (German Edition)
überdenke er die Erbarmungslosigkeit seiner Landsleute, fragte er: »Ihnen ist völlig bewusst, dass Sie zuerst Ihren Vater und schließlich Ihre Mutter umbrachten? Immerhin waren Sie damals noch sehr jung.«
»Warum sollte ich mir dessen nicht bewusst sein?«
»Sie sagten, dass Sie an einer Biografie schreiben. Wie schildern Sie Ihre Eltern?«
»Als wunderbare Personen, die alles für ihren Sohn getan haben.«
Dr Webster runzelte die Stirn. »Ist Ihnen außerdem bewusst, dass Sie mir das berichten, als redeten wir über das Wetter?«
»Das Wetter würde mich mehr erregen.«
Webster schwieg und fuhr sich mit den Zeigefingern über die Stirn, als wolle er seine Falten richten. »Ich fürchte, wir haben viel Arbeit vor uns, Mr Padock.«
»Erschrecke ich Sie?«
»Erschrecken Sie sich vor sich selbst?«
»Sehr oft.«
»Wie zeigt sich das? Träumen Sie?«
»Ich träume nie.«
»Wie ist das also, wenn Sie sich Ihrer Wesensart bewusst sind?«
»Ich fühle mich göttlich. Fühle mich unangreifbar. Ich habe keine Furcht. Ich denke nicht an die Zukunft. Ich bin. Im Hier und Jetzt. Ich kann tun, was ich will. Stellen sie sich vor, Doktor. Sie tun, was immer Sie wollen, ohne befürchten zu müssen, dass ein schlechtes Gewissen Sie plagt. Das ist, als könne man saufen, soviel man will, ohne betrunken zu werden. Oder besser noch – sie erleben den Rausch, sind aber nie verkatert. Wenn mir das bewusst wird, erschrecke ich mich vor mir. Denn es kann nicht sein, es darf nicht sein, dass ein göttliches Geschöpf auf Erden wandelt, währenddessen Er sich ohne Erfolg um unser Wohl kümmert.«
U
Berlin 2009
1
Die Bergius-Realschule war ein karger Bau am Prenzlauer Berg.
Er lag still zwischen Linden.
Doch so still, wie die Schule von außen wirkte, was es in ihrem Bauch nicht, denn zahllose Schüler warteten auf ihr Urteil.
Es war der 8. Juli, eine Woche, bevor die Sommerferien begannen.
»Eva Armond«, rief der Lehrer.
Eva stand auf.
» Gut gemacht«, sagte der Lehrer und lächelte, denn er wusste um das Schicksal der jungen Frau. »Du hast deinen Realschulabschluss mit Auszeichnung bestanden.«
Eva nahm das Zeugnis entgegen. Sie blickte auf das Blatt, das voller Einser war. Sie nickte, als hätte sie nichts anderes erwartet. Wie meistens schwieg sie, in sich gekehrt, eifrig und sehr erwachsen.
» Was wirst du nun tun?«
Sie lächelte. »Meine Lehrstelle antreten.«
» Du hast schon eine?«
» Selbstverständlich«, gab sie zurück, und einige Mitschüler kicherten.
So war Eva Armond. Sie überließ nichts dem Zufall. Sie wusste, was sie wollte.
» Gratuliere«, sagte der Lehrer. »Und noch ein paar schöne Ferientage, bevor der Ernst des Lebens losgeht.«
Eva blickte auf. »Ernst des Lebens?«
Der Lehrer schluckte. »Du weißt schon, was ich meine.«
Eva nickte und ging zu ihrem Platz zurück.
2
Als sich der Hochzeitstag jährte, den Will Prenker nie wieder mit seiner Frau verbringen würde, kämpfte er gegen den Alkohol an wie gegen einen feuerroten Drachen, der ihn zu verschlingen drohte. Und er gewann.
Er tat, was er gelernt hatte, fuhr mit dem Auto in einen Wald, ging spazieren, blickte die Stämme hoch in den Ausschnitt, d er den Himmel zeigte und weinte um seine Frau, weinte um Veronika.
Und erinnerte sich, wie es geschehen war.
Veronika hatte den Führerschein noch nicht lange und wollte ihrem Mann eine Freude machen, indem sie einkaufen fuhr, um ihm sein Lieblingsessen zu bereiten. Im Wrack des Polos wurden zwei Packungen ungefüllter Rindsrouladen gefunden. Die Füllung war Veronikas Spezialität. Fetter Speck und Senf, dazu eine Scheibe Gewürzgurke, Salz, Pfeffer und Knoblauch. Alles schön angebraten, damit es eine dunkle, sämige Sauce gab, butterzart gedämpft und mit Kartoffelklößen und Rotkraut serviert.
Seit Veronikas Tod hatte Will nie wieder Rindsrouladen gegessen.
Sie war auf Glatteis von der Straße abgekommen und hatte sich um einen Baum gewickelt. So etwas geschah andauernd, doch nun hatte es seine Familie getroffen.
Das Kind, welches Veronika in sich trug, starb auf der Stelle, Veronika fünfzehn schmerzhafte Minuten später.
Will taumelte durch ein Leben, das er am liebsten beendet hätte und es auf gewisse Weise auch versuchte, indem er sich täglich mit Wodka zuschüttete, bis geschah, was geschehen musste: Er machte einen Dienstfehler und wurde gefeuert. Dank Ice nur das. Zwar
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