In Liebe, dein Mörder: Thriller (German Edition)
einen Fall mag das sein.«
»Warum töteten Sie Lisa?«
»Ich habe nie zuvor einen Menschen geliebt. Ich konnte einfach nicht. Und ich habe seit dem Mord an meinem Vater nicht mehr geweint. Zwanzig Jahre lang habe ich keine Träne vergossen, egal, was auch geschah.«
»Sie haben nie geliebt.«
»Deshalb wollte ich wissen, wie es ist, so etwas Wertvolles zu verlieren. Was war dran an den romantischen Geschichten der Weltliteratur, in denen der Tod eines geliebten Partners beschrieben wurde? Romeo und Julia, der junge Werther, Love Story. Lauerte hier der eine Satz? Fand ich ihn vielleicht ohne Pfahl? Indem ich einen Verlust betrauerte? Stimmte es, dass man sein Herz verlieren konnte? Würde ich mir erlauben, zu weinen?«
»Taten Sie es?«
»Ja.«
»Sie weinten.«
»Und ich begriff, dass diese Tränen Lisas Tod wert gewesen waren.«
»Sie weinen auch jetzt, Vincent.«
»Ja, Max. Ich weine.«
»Was empfinden Sie dabei?«
»Haben Sie ein Taschentuch?«
»Bedienen Sie sich aus der Box.«
»Wissen Sie, Max. Ich erlebe es nun. Ich spüre es mit jeder Faser meines Selbst.«
»Was spüren Sie?«
»Dass Tränen die Seele reinigen.«
Berlin 2011
1
Eva Armond beugte sich über die Blätter, die es in den nächsten zwei Tagen auszufüllen galt.
Die heutige Klausur war besonders anspruchsvoll. Es ging um Zytodiagnostik, mit der Eva sich sehr gut auskannte. Wer galt als Begründer der Histologie?
Marie Francois Xavier Bichat , schrieb sie. Dass der Mann den Begriff Hirntod geprägt hatte, schrieb sie noch dazu, obwohl die Klausur nicht danach fragte. Man wusste nie, ob es nicht für einen weiteren Punkt gut war.
Dann ging es um Gewebeschnitte unter dem Fluoreszenzmikroskop. Wie nannte man die Technik zum mikroskopischen Nachweis von größeren DNA-Abschnitten?
Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung , schrieb sie.
Die Klausur war einfach. Fast alles, was sie umfasste, würde Eva später nicht mehr benötigen, aber so war es in einer Schule ja stets. Wissensvermittlung, die man bis zur Abschlussprüfung festhielt und wieder vergaß.
Schneller als ihre Mitschüler war sie fertig und lehnte sich zurück.
Sie schloss die Augen und lächelte still.
Wer hätte jemals gedacht, dass sie ein normales Leben führen würde? Eine junge Frau, der die ganze Familie genommen worden war? Ja, sie konnte es, denn sie hatte ein Ziel, dass sie fest im Auge behielt. Sie hatte sich klargemacht, dass das Durchschnittliche der Welt ihren Bestand gab, aber das Außergewöhnliche ihren Wert.
2
Will Prenker hatte vier oder fünf Weizenbier intus und war entsprechend fröhlich. Noch war er fröhlich, doch weitere ein oder zwei Biere, und er würde in Trübsal fallen. Er kannte das und versuchte, langsam zu trinken.
Kontrolliertes Saufen, nannte man das. Ehrlich zu sich, gestand er ein, dass diese Form des Alkoholkonsums ihn eher quälte, als berauschte, Fröhlichkeit hin oder her. Doch es war die einzige Möglichkeit, um morgen einen einigermaßen klaren Kopf zu haben. Schnaps kam nicht mehr infrage. Es war schon schlimm genug, dass er an jenem Sommertag - liebe Güte, war das schon ein Jahr her, oder zwei Jahre? – rückfällig geworden war.
Bisher hielten sich Ausfälle in Grenzen, und sogar die Frau neben ihm am Tresen lächelte ihn freundlich an, was ein Zeichen dafür war, dass er sich noch klar artikulierte, zumindest kein lallender Blödmann war, von dem Frauen sich angewidert wegdrehten.
Morgen war ein wichtiger Tag, das ahnte Will Prenker. Das LKA hatte durchblicken lassen, man habe Arbeit für ihn. Was das bedeutete, wollte er sich nicht ausmalen, stattdessen setzte er auf die Überraschung.
»Ich heiße Will«, sagte er.
Die Frau, Anfang dreißig vermutlich, ein ebenmäßiges Gesicht und eine durchschnittliche Figur, nickte. »Margot.«
Altmodisch , trotzdem sagte Prenker: »Ein schöner Name.«
» Lügner«, gab sie zurück und war ihm sofort sympathisch.
» Will von Willi?«
» Wilhelm.«
» Auch nicht besser. Margot und Wilhelm. Das klingt, als wären wir schon hundert.«
» Ich bin vierzig«, sagte Prenker.
» So sehen Sie auch aus.«
» Danke für die Blumen. Sie aber nicht wie sechzig.« Prenker nippte an seinem Bier und nahm aus dem Augenwinkel wahr, dass Margot den schalen Witz begriffen hatte und etwas näher rutschte. Und nun? Gehobene Konversation? Das war in der Regel unsinnig, wenn man sich am Tresen einer zweitklassigen Berliner Eckkneipe kennen lernte. Wer um diese Zeit hier saß,
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