In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)
Eingangstür den Schnee beiseite. Wie die meisten Hütten auf Spitzbergen war sie nicht verschlossen. Menschen, die unterwegs waren und aus irgendeinem Grund eine Unterkunft brauchten, sollten hier eine Zufluchtsstätte finden. Knut drückte die Tür auf, suchte eine Kerze und half Oksana auf einen Küchenstuhl. Dann entfernte er die Platten vor den Fenstern. Noch immer fiel dichter Schnee, die Sicht hatte sich nicht gebessert. War es zu riskant, mit den Scootern nach Longyearbyen zu fahren?
Als er wieder in die Hütte kam, saß Oksana noch immer auf dem Küchenstuhl, die Leinentasche stand neben ihr auf dem Boden. Sie hatte sich nicht bewegt. Hatte nicht einmal den Versuch unternommen, den kleinen Küchenschrank zu untersuchen oder die Kohlen anzuzünden, die im Ofen bereitlagen. Ihr Gesicht blieb regungslos, überzogen von einer Art resignierender Ruhe. Er griff nach einem Hocker und setzte sich neben sie. »Hast du Angst?«
Sie wandte sich ihm zu. »Es ist so unwirklich, das alles … Wieso müssen wir mit Schneescootern nach Longyearbyen fahren? Könnten wir nicht einfach abwarten, bis es aufhört zu schneien und der Hubschrauber fliegen kann?«
»Du musst mir vertrauen. Es wird hart, aber in ein paar Stunden sitzen wir im Polarhotel und essen zu Abend.« Er lächelte und versuchte, seine eigene Angst zu übertönen. »Bleib hier sitzen und wärm dich auf. Ich zünde den Ofen an, dann grabe ich die Scooter aus.«
Die Polizisten der Regierungsbevollmächtigten hatten zum Schutz gegen Eisbären und das Wetter eine Holzverschalung um die Schneescooter gebaut, als sie sie zurückgelassen hatten. Im Laufe des Herbstes hatte der Sturm ein paar Bretter weggerissen. Der Motorraum der beiden Fahrzeuge war voller Schnee. Knut öffnete die Motorhauben und schaufelte den Schnee heraus. Er steckte einen Spaten unter die Kufen und versuchte, den Schnee zu entfernen, der sich dort festgesetzt hatte. War es sinnvoll, die Batterien mit in die Hütte zu nehmen, um sie anzuwärmen? Wenn die elektrischen Starter nicht funktionierten, musste er die Scooter mit dem Seilzug manuell anwerfen. Er wusste, dass es harte Arbeit würde.
Oksana saß noch immer auf dem Stuhl, aber sie hatte den Küchenschrank untersucht, ein paar Tassen, etwas Pulverkaffee und ein Glas Marmelade aus den Schränken geholt und eine Packung Kekse aufgemacht. »Ich habe keinen Kessel gefunden«, sagte sie. »Ich dachte, ich könnte Schnee schmelzen und Kaffee kochen.«
Knut trug die Batterien zum Ofen. In der Hütte war es kaum wärmer als draußen. »Hast du Hunger?«, erkundigte er sich.
»Nein, Durst.« Sie schaute auf, ihre Blicke begegneten sich. Knut schauderte. Ihre Augen waren matt und dunkel wie Öl, sein aufmunterndes Lächeln reflektierten sie nicht. Oksana fror, die Zähne schlugen hinter ihren blauen Lippen aufeinander.
»Hast du kalte Füße?« Sie schüttelte den Kopf, aber er glaubte ihr nicht. Es hatte den Anschein, als würde sie darauf warten, dass diese Reise und überhaupt alles einfach aufhörte. Er hockte sich vor sie auf die Knie, zog ihr die Stiefel und die Wollstrümpfe aus und sah, dass ihre Zehen ganz weiß waren. »Du darfst nicht an den Füßen frieren«, sagte er. »Wenn wir eine Weile gefahren sind, werden deine Stiefel von der Hitze der Scootermotoren warm, dann wird es besser. Aber es kann schnell zu Erfrierungen kommen.« Er zog seinen Pullover und sein Hemd hoch und legte ihre eiskalten Füße an seine Brust. Er ließ sie dort liegen, bis sie wieder hellrot und warm waren. Sie ertrug alles mit einer Art hoffnungsloser Passivität.
Schließlich hatten auch ihre Wangen ein wenig Farbe zurückbekommen. Er zog ihr alles an, was er in der Tasche an zusätzlicher Kleidung finden konnte. Dann startete er beide Scooter, fuhr ein kleines Stück auf eine Schneewehe hinter der Hütte und zurrte die Leinentasche auf dem kleinen Gepäckträger seines Scooters fest. Er half Oksana auf die Beine, schloss die Tür hinter sich, ließ die Kohle im Ofen aber glühen. Möglicherweise mussten sie die Fahrt wegen mangelnder Sicht abbrechen. Dann würden sie in die Hütte zurückkehren, bis das Wetter sich änderte.
Kurz vor dem Aufbruch fiel Knut Toms Hinweis auf den Waffenschrank ein. Er nahm das Gewehr heraus, hängte es sich über die Schulter und steckte eine Schachtel mit Patronen in die Tasche seiner Russenjacke. Dann brachte er Oksana zu dem Scooter, den sie fahren sollte. Er machte sich Sorgen, als er ihr auf den Sitz geholfen
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