In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)
…«
Am anderen Ende war es still. Eine verzweifelte Stille , dachte der Polizeichef. »Im Frühjahr sind zwei Beamte mit Scootern unterwegs gewesen, als das Eis im Grønfjord aufbrach. Es lag nur noch so wenig Schnee auf den Bergen über Barentsburg, dass sie die Scooter in Finneset stehen ließen; die beiden wurden mit dem Hubschrauber geholt. Die Scooter stehen unter einer Abdeckung hinter der Hütte. Ja, nicht weil wir dachten, die Russen würden sie klauen … aber du weißt ja, die Eisbären reißen die Sitze kaputt.«
Hörte er ein leises »Danke«?
»Und Knut? In dem Schrank in einem der Zimmer steht eine alte Mauser mit ein bisschen Munition. Für den Fall, dass du … dass ihr … versuchen solltet, Barentsburg mit den Scootern zu verlassen. Letzte Woche ist viel Schnee in Longyearbyen gefallen, vielleicht klappt’s ja.«
Stille am anderen Ende der Leitung.
»Knut? Viel Glück …«
Aber die Verbindung war bereits unterbrochen. Die Batterie in Knuts Handy war tot.
Natürlich erinnerte sich Knut an die Hütte der Regierungsbevollmächtigten vor Barentsburg. Er hatte dort selbst einige Male übernachtet. Es war eine für Spitzbergen typische Hütte, aus grauem Holz gebaut, mit einem kleinen Windfang und zwei Räumen. Ein Ofen in der Küche und Etagenbetten im Innenraum. Dass dort zwei Schneescooter standen, hatte man ihm im Laufe des Frühjahrs sicher mal erzählt, aber das war einige Monate her. Er hatte es vergessen.
Mit einem Mal hatte sich die Situation geändert. Unter optimalen Bedingungen konnte Longyearbyen mit den Scootern in einigen Stunden erreicht werden. Vermutlich würde es aufgrund des lockeren Schnees doppelt so lange dauern. Dennoch – in weniger als einem Tag könnte Oksana in Sicherheit sein.
Er verließ das Konsulat und fing an zu suchen. Er fand sie sofort – auf dem Sofa ihres Zimmers. In dem Raum gab es keinerlei persönliche Gegenstände mehr. Neben ihr stand eine große, übervolle Leinentasche auf dem Boden. Überrascht fragte er sich, was sie sich gedacht hatte? Hatte ihr niemand gesagt, dass der Hubschraubertransfer nach Longyearbyen wegen des Schneewetters ausgesetzt war? Sie schüttelte den Kopf, sah vollkommen apathisch aus. Rasch skizzierte er seinen Plan, mit den Schneescootern, die in der Hütte bei Finneset standen, nach Longyearbyen aufzubrechen.
»Ist es nicht gefährlich, mit Schneescootern in der Dunkelheit zu fahren? Ich ertrage keine Enttäuschungen mehr. Bist du sicher, dass es möglich ist?«
»Warum sitzt du hier, auf gepackten Koffern? Was hast du dir dabei gedacht? Du kannst schließlich nicht Gedanken lesen, oder?« Er versuchte zu scherzen, aber er war nervös.
Sie zögerte ein wenig, bevor sie die Hand in die Jackentasche steckte und einen Umschlag herauszog. »Ich habe einen Brief von Ljudmila bekommen. Jemand hatte ihn unter der Tür durchgeschoben, als ich zurückkam. Sie sagt, ich soll zu ihr ziehen, das wäre besser, als allein zu leben. Sie hat einen Plan, um mich hier wegzubringen … Sie will mit mir nach Hause in die Ukraine.«
Knut schloss einen Moment die Augen. Tom hatte im letzten Moment eine mögliche Lösung vorgeschlagen.
Das Schneewetter hatte Barentsburg in eine Geisterstadt voller Umrisse und Schatten verwandelt. Nicht zu erkennende Gestalten tauchten mit gesenkten und in Schals gehüllten Köpfen auf. Oder mit großen, pelzverbrämten Mützen, die sie tief in die Stirn gezogen hatten. Ebenso unvermittelt verschwanden sie hinter der Gardine aus fallendem Schnee. Die Straße war nicht mehr zu erkennen. Knut trug die Leinentasche, dennoch stolperte Oksana mehrfach und verschwand in Schneewehen. Sie rappelte sich auf, kämpfte sich weiter voran. Knut konnte sich nicht erinnern, wie weit es von der Siedlung bis zur Hütte war, er versuchte, sich die exakte Lage von Finneset zu vergegenwärtigen. Es war ein gewaltiger Unterschied, ob man sich dem Ort zu Fuß oder mit dem Scooter näherte. In dem Schneetreiben bestand die große Gefahr, sich zu verlaufen, aber davon erwähnte er Oksana gegenüber nichts. Es war wichtig, dass sie jetzt nicht den Mut verlor.
Sie sahen die Hüttenwand erst, als sie wenige Meter davorstanden. Der Weg zu Fuß durch den knietiefen Schnee hatte weniger als eine Stunde gedauert. Allerdings bot die Hütte keinen einladenden Anblick. Platten vor den Fenstern, große Schneewehen, die eine Wand bis an das Dach verdeckten, der Frost lag wie ein weißer Belag auf dem grauen Holz.
Knut schaufelte vor der
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