In meinem Himmel
Schülern und Schülerinnen seiner Schule, die für das Begabten-Symposion des Bundesstaates ausgewählt worden waren. Der einzige Makel in ihrer Akte hatte mit einer kleinen Auseinandersetzung Anfang des Jahres zu tun, als eine Lehrerin sie tadelte, weil sie obszöne Literatur -
Angst vorm Fliegen -
mit ins Klassenzimmer gebracht hatte.
»Bringen Sie sie zum Lachen«, hätte ich am liebsten zu ihm gesagt. »Gehen Sie mit ihr in einen Marx-Brothers-Film, setzen Sie sich auf ein Furzkissen, zeigen Sie ihr die Boxershorts mit den kleinen, Hotdogs essenden Teufeln, die Sie anhaben!« Alles, was ich konnte, war reden, aber auf der Erde hörte mich keiner.
Das Schulbezirksamt führte Prüfungen für alle durch und entschied dann, wer begabt war und wer nicht. Ich wies Lindsey gern darauf hin, dass ich wegen ihrer Haare viel saurer war als wegen meines Dummerchen-Status'. Wir waren beide mit dichten blonden Haaren zur Welt gekommen, aber meine fielen bald aus und wurden durch widerspenstig wuchernde mausbraune ersetzt. Lindseys blieben, wie sie waren, und brachten ihr eine Art mythischer Position ein. Sie war die einzige echte Blondine in unserer Familie.
Als begabt eingestuft zu werden spornte sie allerdings dazu an, dieser Bezeichnung alle Ehre zu machen. Sie schloss sich in ihrem Zimmer ein und verschlang dicke Bücher. Während ich
Hallo, Mr. Gott, hier spricht Anna
las, las sie Essays von Camus. Vielleicht verstand sie das meiste davon nicht, aber sie trug sie mit sich herum, und das führte dazu, dass die Leute - einschließlich der Lehrer - sie in Ruhe ließen.
»Ich will nur sagen, dass wir alle Susie vermissen, Lindsey«, ließ sich Mr. Caden vernehmen.
Sie reagierte nicht.
»Sie war sehr intelligent«, probierte er.
Sie starrte ihn ausdruckslos an.
»Nun liegt alles auf deinen Schultern.« Er hatte keine Ahnung, was er eigentlich meinte, aber er dachte, das Schweigen bedeute womöglich, dass er ein Stück weiterkam. »Du bist jetzt die einzige Salmon-Tochter.«
Nichts.
»Weißt du, wer mich heute Morgen aufgesucht hat?« Mr. Caden hatte sich sein großes Finale aufgespart, das bestimmt helfen würde. »Mr. Dewitt. Er erwägt, eine Mädchen-Mannschaft zu trainieren«, sagte Mr. Caden. »Auf diesen Gedanken ist er durch dich gekommen. Er hat beobachtet, wie gut du bist, ebenso sportlich wie seine Jungs, und er glaubt, andere Mädchen würden sich anschließen, wenn du die Mannschaft anführst. Was sagst du dazu?«
Das Herz meiner Schwester schloss sich wie eine Faust. »Ich würde sagen, es wäre ganz schön schwierig, auf einem Fußballplatz zu spielen, der ungefähr zehn Meter von der Stelle entfernt ist, wo meine Schwester angeblich ermordet wurde.«
Tor!
Mr. Cadens Mund öffnete sich, und er starrte sie an.
»Sonst noch was?«, fragte Lindsey.
»Nein, ich...« Mr. Caden streckte erneut die Hand aus. Es war immer noch ein Faden da - ein Verlangen zu verstehen. »Ich möchte, dass du weißt, wie Leid es uns tut«, sagte er.
»Ich komme zu spät zur ersten Stunde«, sagte sie.
In diesem Moment erinnerte sie mich an eine Figur aus den Western, die mein Vater so liebte und die wir uns gemeinsam spät nachts im Fernsehen anschauten. Es gab da immer einen Mann, der seine Pistole, nachdem er sie abgefeuert hatte, an die Lippen hob und über die Mündung pustete.
Lindsey stand auf und nahm sich Zeit für ihren Weg aus Direktor Cadens Büro. Die Rückwege waren ihre einzigen Atempausen. Auf der anderen Seite der Tür waren Sekretärinnen, vor der Klasse standen Lehrer, an jedem Pult saßen Schüler, zu Hause waren unsere Eltern, die Polizei kam vorbei. Sie würde nicht zusammenbrechen. Ich beobachtete sie, fühlte die Sätze, die sie sich im Geiste immer wieder vorsagte.
In Ordnung. Alles ist in Ordnung
. Ich war tot, aber das war etwas, das ständig geschah - Menschen starben eben. Als sie an jenem Tag das Vorzimmer passierte, schien sie den Sekretärinnen in die Augen zu schauen, doch in Wirklichkeit konzentrierte sie sich auf ihren schlecht aufgetragenen Lippenstift oder ihre bunt gemusterten Crêpe-de-Chine-Kostüme.
Abends legte sie sich zu Hause auf den Fußboden ihres Zimmers und klemmte ihre Füße unter die Kommode. Sie machte zehn Runden Situps. Dann nahm sie die Position für Liegestütze ein. Aber nicht die Mädchen-Variante. Mr. Dewitt hatte ihr erzählt, wie er es bei den Marines gemacht hatte, Kopf hoch erhoben oder einhändig mit Klatschen zwischendurch. Nach zehn Liegestützen trat sie
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