In meinem Himmel
Lust?« Ich hob meine Hände an sein Gesicht und spürte die leichten Stoppeln eines Bartes, der vor acht Jahren noch nicht da gewesen war.
»Was ist mit dir passiert?«, fragte er bestürzt.
»Manchmal fallen Katzen aus dem zehnten Stock eines Hochhauses und landen auf den Füßen. Man glaubt es nur, wenn man es gedruckt sieht.«
Ray starrte mich verwirrt an. Er beugte sich herunter, und unsere Lippen berührten sich zärtlich. Ich fühlte seinen kühlen Mund im tiefsten Innern. Noch ein Kuss, kostbare Gabe, erschlichenes Geschenk. Seine Augen waren mir so nahe, dass ich in dem Grau die grünen Flecken sah.
Ich ergriff seine Hand, und wir gingen schweigend zurück zum Auto. Ich merkte, dass er zurückblieb, an meinem Arm zerrte, während wir Händchen hielten, und Ruths Körper musterte, um sich zu vergewissern, dass sie aufrecht gehen konnte.
Er öffnete die Beifahrertür, und ich glitt auf den Sitz und stellte meine Füße auf den mit Teppich belegten Boden. Als er auf seiner Seite einstieg, schaute er mich noch einmal eindringlich an.
»Was ist los?«, fragte ich.
Wieder küsste er mich leicht auf die Lippen. Was ich mir so lange gewünscht hatte. Der Augenblick verlangsamte sich, und ich sog ihn in mich ein. Die Berührung seines Mundes, seine feinen Bartstoppeln, die mich streiften, und das Geräusch des Kusses - das kurze Schnalzen, als unsere Lippen sich trennten, nachdem sie sich aufeinander gedrückt hatten, und dann das grausamere Sichlösen. Es hallte wider, dieses Geräusch, in dem langen Tunnel der Einsamkeit und des Sichbegnügens damit, die Berührungen und Liebkosungen anderer auf der Erde zu beobachten. Ich war noch nie so berührt worden. Ich war nur von Händen verletzt worden, denen jede Zärtlichkeit fehlte. Aber nach meinem Tod hatte ein Mondstrahl meinen Himmel erhellt, der wirbelnd blinkte - Ray Singhs Kuss. Irgendwie wusste Ruth davon.
Mir pochte der Kopf bei dem Gedanken, dass ich mich in Ruth versteckte - dass es, wenn Ray mich küsste oder unsere Hände sich trafen, mein Verlangen war, nicht Ruths, dass
ich
an die Ränder ihrer Haut drängte. Ich konnte Holly sehen. Sie lachte mit in den Nacken geworfenem Kopf, und dann hörte ich Holiday klagend heulen, denn ich war wieder dort, wo wir beide einst gelebt hatten.
»Wohin möchtest du?«, fragte Ray.
Und das war eine so umfassende Frage, die Antwort so unermesslich. Ich wusste, dass ich nicht Mr. Harvey hinterherjagen wollte. Ich sah Ray an und wusste, wozu ich da war. Um mir ein Stück vom Himmel zu holen, das ich nie kennen gelernt hatte.
»Zu Hal Hecklers Motorradwerkstatt«, sagte ich entschlossen.
»Was?«
»Du hast gefragt.«
»Ruth?«
»Ja?«
»Darf ich dich noch mal küssen?«
»Ja«, sagte ich und wurde rot.
Er beugte sich herüber, und erneut begegneten sich unsere Lippen, und da war sie, Ruth, die alten Männern in Baskenmützen und schwarzen Rollkragenpullovern Vorträge hielt, während sie Feuerzeuge in die Luft reckten und in rhythmischem Singsang ihren Namen riefen.
Ray lehnte sich zurück und schaute mich an. »Was ist los?«, fragte er.
»Wenn du mich küsst, sehe ich den Himmel«, sagte ich.
»Wie sieht es denn da aus?«
»Es ist für jeden anders.«
»Ich will Einzelheiten«, sagte er lächelnd. »Fakten.«
»Schlaf mit mir«, sagte ich, »dann erzähle ich dir davon.«
»Wer bist du?«, fragte er, doch ich merkte, dass er noch nicht wusste, was er da fragte.
»Der Motor ist warm«, sagte ich.
Er packte die glänzende Chromstange neben dem Lenkrad, und dann fuhren wir - so normal wie der Tag -, ein Junge und ein Mädchen nebeneinander. Die Sonne blitzte in dem geborstenen Glimmerschiefer des alten, zusammengeflickten Straßenbelags auf, als er wendete.
Wir fuhren hinunter zum Fuß der Flat Road, und ich zeigte auf den Feldweg jenseits des Eels Rod Pike, der zu einer Stelle hinaufführte, wo wir die Bahngleise überqueren konnten.
»Hier wird sich bald alles verändern«, sagte Ray, während er über den Schotter und auf den Feldweg schoss. Die Eisenbahnschienen erstreckten sich bis nach Harrisburg in der einen Richtung und Philadelphia in der anderen, und an ihnen entlang wurden Häuser abgerissen, und alteingesessene Familien zogen aus und Industrieunternehmen ein.
»Wirst du hierbleiben«, fragte ich, »wenn du mit dem Studium fertig bist?«
»Das tut doch keiner«, sagte Ray. »Das weißt du.«
Ich war nahezu geblendet davon, von dieser Möglichkeit, der Vorstellung, dass ich, wenn ich
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