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In meinem Himmel

Titel: In meinem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Sebold
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nierenförmigen Blumenbeet im Vorgarten. Sie schaute auf, als das Auto vorbeikam. Sie sah das unbekannte, zusammengeflickte Gefährt und nahm an, es gehörte dem College-Freund eines der älteren Kinder, die den Sommer über zu Hause waren. Sie hatte Mr. Harvey nicht auf dem Fahrersitz gesehen. Er bog nach links in die untere Straße ab, die in einer Schleife dorthin führte, wo er früher gewohnt hatte. Holiday winselte zu meinen Füßen, dasselbe angsterfüllte leise Hecheln, das er von sich zu geben pflegte, wenn wir ihn zum Tierarzt fuhren.
    Ruana Singh wandte ihm den Rücken zu. Ich sah sie durch das Fenster zum Esszimmer, wo sie Stapel neuer Bücher alphabetisch sortierte und in sorgfältig geordnete Regale stellte. In den Gärten hinter den Häusern waren Kinder auf Schaukeln oder mit Springstöcken oder solche, die sich gegenseitig mit Wasserpistolen jagten. Ein Viertel voller potenzieller Opfer.
    Er fuhr um die Kurve am Fuße unserer Straße und passierte den kleinen städtischen Park, dem gegenüber die Gilberts wohnten. Sie waren beide drinnen, Mrs. Gilbert mittlerweile gebrechlich. Dann sah er sein ehemaliges Haus, nicht mehr grün, obwohl es für meine Familie und mich immer »das grüne Haus« sein würde. Die neuen Besitzer hatten es in einem Ton zwischen Lavendel und Mauve gestrichen und einen Pool gebaut und gleich daneben, nahe dem Kellerfenster, einen Pavillon aus Rotholz, der von Kletterefeu und Kinderspielzeug überquoll. Die Blumenbeete vor dem Haus waren durch Steinplatten ersetzt worden, als der Gehweg verbreitert wurde, und die vordere Veranda hatte jetzt eine frostsichere Verglasung, hinter der er eine Art Büro sah. Aus dem Garten hörte er das Lachen von Mädchen, und eine Frau, die einen Sonnenhut trug, trat mit einer Baumschere aus der Haustür. Sie starrte den Mann an, der in seinem orangeroten Wagen saß, und spürte einen Stoß in ihrem Innern - den Übelkeit erregenden Stoß der Leere. Sie drehte sich abrupt um, ging wieder hinein und beäugte ihn durch ihr Fenster. Wartend.
    Er fuhr ein paar Häuser weiter die Straße entlang.
    Da war sie, meine kostbare Schwester. Er konnte sie hinter dem Fenster im Obergeschoss unseres Hauses sehen. Sie hatte sich das Haar ganz kurz geschnitten und war in den vergangenen Jahren dünner geworden, aber es war wirklich sie, die da an dem Zeichenbrett saß, das sie als Schreibtisch benutzte, und ein Psychologie-Buch las.
    In dem Augenblick sah ich sie die Straße entlangkommen.
    Während er die Fenster meines alten Zuhauses musterte und sich fragte, wo die anderen Mitglieder meiner Familie waren - ob mein Vater noch humpelte -, sah ich, wie die letzten Überbleibsel der Tiere und der Frauen Mr. Harveys Haus verließen. Sie schritten gemeinsam voran. Er beobachtete meine Schwester und dachte an die Laken, die er über die Pfosten des Brautzeltes drapiert hatte. Er hatte meinem Vater an jenem Tag direkt in die Augen gestarrt, als er meinen Namen aussprach. Und der Hund - der vor seinem Haus immer gebellt hatte -, der Hund war inzwischen bestimmt tot.
    Lindsey bewegte sich hinter dem Fenster, und ich beobachtete, wie er sie beobachtete. Sie stand auf und drehte sich um, trat tiefer in das Zimmer an ein deckenhohes Bücherregal. Sie langte nach oben und zog ein weiteres Buch hervor. Als sie zum Schreibtisch zurückkehrte und sein Blick auf ihrem Gesicht verweilte, war in seinem Rückspiegel plötzlich ein Streifenwagen zu sehen, der hinter ihm langsam die Straße entlangkam.
    Er wusste, dass er ihnen nicht davonfahren konnte. Er saß in seinem Auto und setzte die letzten Überreste der Miene auf, die er Amtspersonen seit Jahrzehnten zeigte - die Miene eines höflichen Mannes, den sie vielleicht bemitleideten oder verachteten, aber nie beschuldigen würden. Während der Beamte sich mit seinem Wagen neben ihn schob, schlüpften die Frauen durch die Fenster, und die Katzen schmiegten sich an seine Knöchel.
    »Haben Sie sich verfahren?«, fragte der junge Polizist, als er auf einer Höhe mit dem orangeroten Wagen war.
    »Ich habe früher hier gewohnt«, erwiderte Mr. Harvey. Ich war erschüttert. Er hatte sich für die Wahrheit entschieden.
    »Wir haben einen Anruf gekriegt, verdächtiges Fahrzeug.«
    »Ich habe gesehen, dass in dem ehemaligen Maisfeld gebaut wird«, sagte Mr. Harvey. Und ich wusste, dass sich ein Teil von mir den anderen anschließen, in Stücken herabstürzen könnte, sodass jeder Körperteil, auf den er Anspruch erhoben hatte, in seinem

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