In Nomine Diaboli: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman)
sein«, meinte Giovanni missfällig, doch Cunrat war betrübt, dass der Papstsekretär fortgegangen war, ohne sich von ihnen zu verabschieden. Immerhin hatte Poggio ihn aus dem Gefängnis befreit und trotz des Standesunterschiedes wie einen Menschen behandelt, nicht wie einen Knecht. Das hatte ihn mit heimlichem Stolz erfüllt. Andererseits wusste er, dass Giovanni nicht wegen Bracciolini verärgert war, sondern hinter dem barschen Wesen, das er in diesen Tagen zeigte, nur seine Trauer und Ohnmacht wegen Lucia verbarg. Zur gedrückten Stimmung des Venezianers trug auch Simon Ringlin bei, der sich wie ein Schatten immer in der Umgebung des Bäckerstandes aufhielt, als ob Giovannis Nähe ihm wenigstens ein Fünkchen Hoffnung einflößen würde, während dieser sich durch den Anblick von Lucias Vater unablässig daran erinnert fühlte, dass seine Geliebte nicht da war, so wie einem ein abgehacktes Körperglied ständige Schmerzen bereitet.
Um ihn auf andere Gedanken zu bringen, schlug Cunrat vor, wieder einmal in die Haue zu gehen, um vielleicht endlich etwas über den Tod der Tettingers herauszufinden. Doch damit kam er schlecht an.
»Lass mich doch mit den Toten in Frieden!«, fuhr Giovanni ihn an. »Ich muss mir etwas überlegen, wie ich Lucia befreien kann!«
Alles Überlegen nützte jedoch nichts. Keiner wollte ihnen gegen Jakob Schwarz und Jörg von End beistehen, allein gegen die beiden anzutreten, wäre Selbstmord gewesen, und außerdem hatte der König den beiden Bäckern verboten, die Stadt zu verlassen. So buken sie weiter Gekreuzigte und Osterlämmer, und am Ostersonntag gönnte sich Cunrat einen Spaziergang mit Gretli, deren Unzeit vorbei war, sodass die beiden wenigstens ein bisschen Auferstehungsfreude genießen konnten.
Ostermond
Anfang April schlug das Wetter wieder um. Es begann zu regnen und hörte nicht mehr auf. Aus den Bergen ergossen sich nun auch die Schmelzwässer in den See, und so stieg dessen Spiegel unaufhaltsam an. Bald kam es zu ersten Überschwemmungen, man hörte von Lindow und Buchhorn, dass dort das Wasser bereits in die Stadt eingedrungen sei und die dem See nächstgelegenen Häuser unterspült habe.
Dann kam das Holz. Der mächtig aufgeschwollene Rhein führte von den Höhen mitgerissene Baumstämme und Äste heran, die in dichten Teppichen auf dem Wasser trieben und manche Lädine zum Kentern brachten, sodass sich nur noch die allerbesten Kapitäne trauten, den See mit schwerer Ladung zu überqueren. Da nur solche Seeleute Kapitän werden durften, die nicht schwimmen konnten, damit sie im Seenotfall ihre Ladung bis zum bitteren Ende verteidigten, kam es zu einigen Todesfällen. Es wurden Gelübde für den Heiligen Nikolaus abgelegt und Prozessionen zum Heiligen Otmar von St.Gallen veranstaltet, doch der Wasserspiegel stieg stetig weiter.
In Costentz hatten sich die Straßen in Schlammgräben verwandelt, alle außer der Plattenstraße zwischen Münster und Oberem Markt, deren steinerner Belag noch aus römischer Zeit stammte, wie man sich erzählte. Auf den übrigen Wegen und Gassen war kaum mehr ein Fortkommen, Menschen, Tiere und Wagen sanken in den Schlamm ein, was vor allem Egli Locher und den Stadtknechten viel Arbeit abverlangte. Wagen mussten wieder herausgezogen, die schlimmsten Schlammgruben mit Kies aufgefüllt und vielerorts Stege ausgelegt werden. Dazu kam die Angst vor der Überflutung der Stadt und vor dem Holz, das sich an der Rheinbrücke aufstauen konnte. Die Menschen in den klammen Häusern scharten sich um die ständig geheizten Öfen, und die römischen und florentinischen Prälaten sehnten sich einmal mehr nach dem milden Frühling ihrer Heimat. Nur die Mailänder scherten sich kaum um das Wetter, sie waren neblige und regnerische Frühjahrswochen gewöhnt. Und die Engländer fühlten sich wie zu Hause.
Für die Bewohner der linksrheinischen Gebiete zwischen Costentz und Basel, die unter der Herrschaft von Friedrich von Österreich gestanden hatten, brachte dieser Frühling dennoch eine frohe Botschaft: König Sigismund entband sie alle von österreichischer Untertänigkeit und erklärte sie für reichsfrei. Die Basler bekamen sogar explizit den Auftrag, alle Besitzungen des Herzogs ans Reich zu ziehen. Friedrich selber wurde aufgefordert, sich unverzüglich dem Gericht in Costentz zu stellen. Am 6. des Monats erließ die Konzilsversammlung ein Dekret, das wie üblich nach seinen Anfangsworten ›Haec Sancta‹ genannt wurde. Darin verkündete die
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