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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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Pest
     nach Paris kam und die Verschwörung begann.

 
    2
    DIE STADT VON HIMMEL UND HÖLLE
    Es war zu Sankt Quirinus Anno
     DOMINI 1348, da ich zum ersten Mal in meinem Leben der verheißungsvollen
     Stadt Paris ansichtig wurde - und es schauderte mich. Ich sah die ersten
     Einwohner dieses Ortes nicht auf Erden wandeln, sondern den Himmel
     verdunkeln: Raben, die in schwarzen Wolken aufstoben und niedergingen. Als
     ich einige Schritte näher kam, da erblickte ich das erste Monument
     von Paris: Montfaucon. Den größten Galgen im Abendland.
    Die Straße, auf der ich
     seit Tagen gewandelt war - kaum mehr als ein breiter, Schlamm überzogener
     Pfad —, machte einen Bogen und führte um den Hügel herum,
     auf dessen Kuppe zwei lange Gerüste aus groben Balken eiserne Ketten
     hielten, an denen insgesamt fünfzig Schlingen befestigt waren. In
     fast jeder baumelte ein Toter: Die Köpfe waren grotesk verrenkt, Arme
     und Beine waren ausgestreckt, als hingen unsichtbare Gewichte an Händen
     und Füßen, die Beinkleider der armen Sünder waren
     beschmutzt, da sie sich in ihren Todeskämpfen entleert hatten, ihre
     Schultern verschwanden unter Raben, die auf ihnen hockten und sie gleich
     schwarzen, gefiederten Mänteln bedeckten. Die Vögel pickten nach
     den Augen der Toten, nach den verquollenen, aus dem Mund hängenden
     Zungen; sie hackten den Erhängten den Bauch auf, um sich an den
     Eingeweiden gütlich zu tun und ihre scharfen Schnäbel stießen
     zwischen den Rippen hindurch bis ins Herz.
    Ich sah dort viele Männer
     baumeln in der groben Kluft der Bauern und Wanderarbeiter, ein paar
     Vaganten und Landsknechte, einige Dirnen, drei oder vier Kinder.
    Quoniam enim per hominem
     mors et per hominem resurrectio mortuorum.
    Bruder Anselm und ich, die
     wir dessen ansichtig wurden, bekreuzigten uns, dann beschleunigten wir
     unsere Schritte. Weil es schon Nachmittag war und wir nicht noch eine
     Nacht auf der Straße verbringen wollten. Weil wir den Miasmen des
     Galgens entfliehen wollten. Und weil wir in der Ferne die Mauern einer
     gewaltigen Stadt erblickten, Zinnen und Tore, mächtiger als die jeder
     Burg. Dahinter ein Meer aus Dächern, überragt von den Türmen
     unzähliger Kirchen und den Wällen verschiedener Festungen.
     Paris! Wie hatte ich mich gesehnt nach diesem Ort.
    *
    Ranulf Higden ist mein Name.
     Zumindest ist er es in der Geschichte, die ich zu erzählen habe. Zu
     jener Zeit, im Frühling Anno DOMINI 1348, da hieß ich noch
     anders, doch ich ziehe es vor, meinen wahren Namen nicht
     niederzuschreiben. Es könnte ja sein, ja es ist sogar wahrscheinlich,
     dass ein Inquisitor meinen Bericht lesen wird. Und die Inquisition ähnelt
     dem HERRN darin, dass sie keine Sünde je vergisst. Anders als der
     HERR jedoch kennt sie weder Güte noch Gnade, keine Vergebung, kein
     Mitleid. Ich weiß es, denn ich bin selbst Inquisitor gewesen.
    Ich war in meinem zwanzigsten
     Jahr, auch wenn ich meinen Geburtstag nicht genau kenne, und ich hatte mit
     meinem Geist schon die Welt und die Zeiten durchmessen. Nicht jedoch mit
     meinem Körper: Die Reise nach Paris war die erste meines Lebens, die
     mich weiter als ein paar Schritte jenseits der Mauern meines Klosters führte.
     Oder vielleicht die zweite, denn ich bin ein Findelkind. Entdeckt hat mich
     eine Marktfrau an der Vierlingspforte zu Köln am frühen Morgen
     des Peter-und-Paul-Tages, da sie sich, geplagt von plötzlichen Krämpfen
     in den Eingeweiden, im Schatten der Mauer erleichtern wollte. Eingewickelt
     war ich in ein teures Tuch aus heller flämischer Wolle, doch sonst
     hatte ich nichts bei mir, das auf meine Herkunft hätte hinweisen können:
     keinen Ring, keine Kette, kein Medaillon, nicht einmal einen Gulden,
     obwohl verzweifelte Mütter doch oft ihre ausgesetzten Kinder mit ein
     paar Münzen auszustatten pflegten, auf dass sich ihrer jemand
     barmherzig annehme.
    Ich störte die Marktfrau
     bei ihrem Geschäft, also trug sie mich hinter eine Stiege, bevor sie
     sich entleerte. Dann kam sie wieder zu mir, sah, dass ich noch lebte, und
     trug mich fort.
    Das zumindest erzählten
     mir die Dominikaner später, zu deren Pforte die Marktfrau mich
     brachte. Den Namen meiner Retterin habe ich nie erfahren, doch GOTT sei
     ihrer Seele gnädig. Quis horum trium videtur tibi
     proximus fuisse Uli qui incidit in latrones. At ille dixit qui fecit
     misericordiam in illum et ait illi Iesus vade et tu fac similiter.
    »Ranulf von der
    

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