In Nomine Mortis
die Flügel dreier Mühlen im Wind. Ich hätte es für
ein gewöhnliches Kloster gehalten, wenn nicht von den Zinnen der
Mauern Glöckchen erklungen wären und rote Kreuze auf den Ziegeln
geleuchtet hätten. »Aussätzige«, murmelte ich
erschrocken, bekreuzigte mich und wich auf die rechte Seite des Weges aus.
»Die Brüder von
Saint Lazare nehmen sich der Aussätzigen an, bis der HERR die
Gezeichneten erlöst«, erklärte Bruder Anselm. Auch er
bekreuzigte sich - doch wich er nicht von der linken Seite des Weges ab,
sondern schritt im Schatten der Mauer voran.
Et extendens manum tetigit
illum dicens volo mundare et confestim lepra discessit ab illo.
Beschämt tat ich es ihm
nach und querte wieder den Weg. Die Pforte von Saint Lazare war fest
verschlossen, keine Menschenseele war zu sehen. Doch als wir das Kloster
schon beinahe hinter uns gelassen hatten, erklang ein schauerlicher,
unmenschlicher Schrei irgendwo aus dem Innern. Mir schien es weniger ein
Ruf des Leids zu sein, denn ein Triumphgeheul. Ich fröstelte und
murmelte ein kurzes Gebet. Es kam mir vor, als wären wir durch eine
verbotene Pforte geschritten, als würde der Antichrist uns höhnisch
in seinem Reich begrüßen.
Wir schritten rasch voran,
noch schneller als zuvor. Langsam wuchs die Zahl der Menschen, die, gleich
uns, der Stadt zustrebten: Händler, welche auf rumpelnden Karren und
Maultieren duftende Spezereien, Tuch und wohl tausend andere Schätze
nach Paris brachten; Bauern in grober, brauner Wolle, die auf Ochsenwagen
Heu heranschafften oder an langen Tragstangen gefesselte Hühner
transportierten; zwei oder drei Ritter auf mächtigen Streitrossen,
gekleidet in roten und blauen Wämsern und begleitet von Knappen, die
lästerlich fluchten, wenn wir Wanderer nicht schnell genug beiseite
stoben; Vaganten in grün und gelb, weiß und blau gestreiften
Beinkleidern, die Lauten und Flöten in Leder gewickelt auf dem Rücken
tragend; ein Schausteller, der am Nasenring einen erbärmlich
stinkenden Bären mit räudigem Fell hinter sich herzog;
liederliche Schönfrauen, deren Gesichter mit Bleiweiß gebleicht
waren und deren Lippen dank einer schwarzen Kunst, die ich nicht kannte,
unnatürlich rot leuchteten und die mehr von ihren Brüsten und
Beinen sehen ließen, als es schicklich war - viel mehr; ein
Besessener, die Brust benetzt vom Speichel, der aus seinem Mund troff, während
er unablässig etwas rezitierte, das ich zunächst für einen
Psalm gehalten hatte, beim Näherkommen aber als sinnloses Gestammel
erkannte.
Bruder Anselm ging nun mit
energischem Schritt voran. Ich spürte, dass er die Straßen,
belebt wie sie waren, mehr scheute als die einsamen Waldwege, auf denen
uns Räuber oder Dämonen hätten auflauern können. Er
wollte nur noch ins Kloster, verschwinden hinter der Sicherheit seiner
Mauern.
Mauern sahen wir auch, doch
waren es weder die des Klosters noch die ersehnten von Paris. Wir
passierten den Tempel — jene Festung, die sich die Templer einst
errichten ließen und die, so munkelt man noch heute, das größte
Schatzhaus des Abendlandes gewesen war. Fast auf den Tag vierunddreißig
Jahre war es her, dass der König von Frankreich und der Papst Jacques
de Molay, den Großmeister des Ritterordens, und Sechsundsechzig
seiner Mitbrüder zu Paris lebend auf den Scheiterhaufen schickten, da
sie den HERRN gelästert und unaussprechliche Sünden begangen
hatten.
»GOTT selbst wird mein
Rächer sein!«, hatte de Molay noch gerufen, als die Flammen
schon züngelten, und den Papst und den König bis in die
dreizehnte Generation verflucht. Außerdem prophezeite er, dass er
beide binnen Jahresfrist vor dem Richterstuhl des HERRN wiedersehen werde.
Und tatsächlich: Papst Clemens V. war nur einen Monat später
gestorben und sieben Monate nach der grausigen Tat war auch König
Philipp der Schöne dahingegangen, sechsundvierzig Jahre alt und ohne
sichtbaren Anlass. Keiner seiner drei Söhne regierte länger als
sechs Jahre, keiner wurde älter als dreiunddreißig Jahre,
keiner zeugte einen männlichen Erben. Und nun liegt Frankreich
darnieder, verwüstet von den Landsknechten und Bogenschützen der
Engländer. Und der Papst sitzt in Avignon, dem neuen Babylon. Den
Schatz der Templer, so sagt man, hat man nie gefunden. Unter dem Fluch der
Templer jedoch muss ganz Frankreich, muss die ganze Christenheit ohne
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