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In Sachen Kain und Abel. Neue Satiren.

In Sachen Kain und Abel. Neue Satiren.

Titel: In Sachen Kain und Abel. Neue Satiren.
Autoren: Ephraim Kishon
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einmal die Gewerkschaften Zutritt haben. Es ist immer wieder ein neu entstehender Kampf, ein Kampf zwischen zwei Gegnern, deren einer von allem Anfang an hoffnungslos im Nachteil ist. Dieser eine bin ich. Ich weiß nicht, wieviel Trinkgeld ich geben soll.
    Hinterher weiß ich's. Ich habe zuviel gegeben, wenn der Taxifahrer meine Koffer in die Hotelhalle schleppt, und zuwenig, wenn der Hotelportier bei meiner Abreise die Drehtüre nicht in Schwung setzt. Undurchsichtig bleiben nur die englischen Hotelportiers, die selbst das generöseste Trinkgeld mit so herablassender Selbstverständlichkeit entgegennehmen, daß man ihnen am liebsten die Hand küssen möchte für die Gnade, die sie einem erwiesen haben. Anders die türkischen Portiers. Die sind menschlich. Wie hoch die Summe auch sein mag, die man ihnen in die Hand drückt - sie halten ungerührt die andere Hand hin und machen große Augen, als wollten sie sagen: »Schön, das war das Trinkgeld. Wo bleibt das Bakschisch?«
    Der Einfluß der Geographie auf das Trinkgeldwesen ist nicht zu unterschätzen. Im allgemeinen steigt die Höhe des Trinkgelds in direkt proportionalem Verhältnis zur Höhe der Temperatur. Je heißer, desto höher. Am Mittelmeer doppelt so hoch. In Venedig zum Beispiel steht seit Jahrhunderten an jedem Gondel-Halteplatz ein pockennarbiger, zahnloser Greis, nähert sich dem Ein- oder Aussteigenden mit dem Ruf »Attenzione, attenzione« und beginnt in gotteslästerlichem Sizilianisch zu fluchen, wenn man ihn nicht dafür bezahlt. Für 200 Lire sagte er »Grazie«, für 500 oder mehr sagt er etwas auf englisch, für 100 sagt er nichts, für 50 spuckt er.
    Demgegenüber ziemt sich ein Wort des Lobs für die italienischen Tankstellenwärter, diese Großmeister der Aufrundung. Gleichgültig, wieviel Benzin du verlangt hast - sie füllen dir den Tank für genau 9800 Lire, nicht einen Tropfen darüber, und gehen nicht fehl in der Annahme, daß du dir auf eine 10000 Lire-Note doch nicht zwei schäbige Münzen zurückgeben lassen wirst. Hier zeigt sich der psychologische Aspekt des Trinkgeld-Problems in Reinkultur.
    Es hat auch noch andere Aspekte. In Ländern mit hoher Einkommenssteuer ist es höher, weil es netto berechnet wird. Noch höher ist es in Ländern, deren Regime zum Marxismus tendiert. Diese Regime, haben die menschenunwürdige Gepflogenheit, den Arbeitsmann durch Trinkgelder zu erniedrigen, so gründlich abgeschafft, daß der Arbeitsmann seinen Gram darüber im Alkohol ertränken muß. Daher der Name Trinkgeld. Das Ganze geht auf die programmatische Zielsetzung der sozialistischen Staaten zurück, einen neuen Menschentypus zu schaffen, den klassenbewußten Proletarier, dessen Arbeitsmoral ihm die Annahme von Trinkgeld verbietet. Leider müssen wir darauf verzichten, den Erfolg dieser Erziehungsmaßnahme zu untersuchen, da der in Rede stehende Proletarier vor sieben Jahren in Bulgarien gestorben ist.
    Insgesamt läßt sich sagen, daß die werkenden Massen sich in dieser Angelegenheit bedeutend flexibler verhalten als ihre vorgesetzten Behörden. Es ist weniger das Trinkgeld als solches, durch das sich die Massen in ihrer Selbstachtung verletzt fühlen, als vielmehr die geringe Höhe des Trinkgelds - das man im übrigen, um der Menschenwürde willen, einfach auf dem Tisch zurücklassen kann, von wo es der Kellner an sich nimmt. Dieses Verfahren birgt allerdings das Risiko einer freudigen Überraschung für den nächsten Gast.
    Es muß hier noch auf einen Punkt hingewiesen werden, den sämtliche Moralisten, Reformer und Revolutionäre bisher übersehen haben. Das Trinkgeld fördert nämlich die soziale Gleichstellung. Der Kellner, der am Morgen den gegenüberliegenden Frisiersalon aufsucht, verabschiedet sich dort mit einem reichlichen Trinkgeld, und wenn der Friseur am Mittag im gegenüberliegenden Restaurant seine Mahlzeit eingenommen hat, gibt er dem Kellner das reichliche Trinkgeld wieder zurück. Das bewirkt ein vollkommenes Gleichgewicht zwischen zwei verschiedenen Klassen und stellt einen wichtigen Schritt in Richtung klassenlose Gesellschaft dar.
    All diese tiefschürfenden Überlegungen helfen indessen nicht zur Bewältigung des Grundproblems, wieviel Trinkgeld man geben soll.
    Nüchtern betrachtet, erkauft man mit dem Trinkgeld das Lächeln des Empfängers oder zumindest seine Geneigtheit, von
    Beschimpfungen Abstand zu nehmen. Daraus folgt, daß sich die Höhe des Trinkgelds nach der Festigkeit deines Charakters richtet. Je unsicherer
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