In Santiago sehen wir uns wieder
ich zur Kirche Eunate hinaus. Ich schaffte es kaum mehr. Vor der Kirche lernte ich Pablo aus Madrid kennen, einen jungen Mann mit den weichen Augen und dem warmen Herzen eines Pilgers. Ach, Amanda, lange unterhielten wir uns über das Geschenk des Jakobswegs. Er machte ihn zum zweiten Mal, und seine Erfahrungen bestätigten in erstaunlichem Maße meine Erlebnisse. >Du wirst sehen<, sagte Pablo, >in der Welt wird sich etwas ändern. Wenn viele Menschen sich ändern...< Amanda, Pablo ist einer dieser vielen jungen Menschen, die ich unterwegs getroffen habe und die unterwegs sind. Was können wir mehr tun als gehen, wirklich gehen? Die Nacht verbrachte ich wieder in Obanos. Am folgenden Morgen gelangte ich per Autostopp nach Pamplona, von Pamplona nach Jaca. Vom Bus aus erkannte ich die Orte, in deren Herbergen ich geschlafen hatte. Sogar einen Blick in die Schlucht Foz de Lumbier konnte ich werfen. Am liebsten wäre ich ausgestiegen, aber es zog mich weiter. In Jaca wollte mich kein Auto zum Col de Somport mitnehmen. So musste ich auf den Bus warten. Das gab mir Gelegenheit, zwei junge Deutsche kennen zu lernen. Dann endlich sah ich den Anfang des aragonesischen Jakobswegs. Wie gern wäre ich in dieser bizarr-steilen Bergwelt länger geblieben! Mit Wehmut überschritt ich die Grenze nach Frankreich. Unweit des Passes fanden wir drei einen Schlafplatz unter den Sternen. Wir saßen auf unseren Matten, redeten, aßen und tranken Wein bis spät in die Nacht.
Am Morgen stiegen wir hinunter ins Tal, wo die beiden ihr Auto stehen hatten. >Nach Lascaux wollt ihr? Die Höhlen sind seit langem geschlossen, ihr könnt bestenfalls Kopien der Malereien sehen<, sagte ich und erzählte ihnen von meinem südfranzösischen Ferienhaus. Ja, dann wurde mein Wunsch erfüllt. Sie fuhren mich hierher nach Beaulieu, ganz einfach. Die Wunder hören nicht auf... dich hier zu treffen, welche Freude, Amanda! Und weißt du, inzwischen habe ich hier im Dorf einen Menschen kennen gelernt, der mir sofort mein Gras gemäht hat - mein Gärtner hat mich im Stich gelassen, und im Winter werden wir einen Elektrozaun als Schutz gegen die Wildschweine ziehen.«
Es ist dunkel geworden. Ich kann Amanda nicht mehr sehen. »Amanda, wo bist du?«, rufe ich in die Nacht hinaus. »Bella, unsere Wege trennen sich, auch ich pilgere weiter«, klingt es von der Ecke beim Komposthäufen her, und: »Buen camino, Bella.« - »Buen camino, Süße!«, schreie ich, aber ich höre nur noch ein leises »Hihi, Bella, ich habe gedacht...« Der Mond scheint warm und hell, als ich ins Haus gehe und die Läden schließe.
Die Autorin
Brigitte Uhde-Stahl, Jahrgang 1944 , studierte Kunstgeschichte, Germanistik und Pädagogik. Sie ist als Publizistin, freie Autorin und Körpertherapeutin tätig. Sie lebt in Reutlingen und Südfrankreich.
Die Geschichte der Wallfahrt beschreibt Gefahren und Mühen, Beherbergung und Versorgung, das spirituelle Erleben der Pilger sowie die epochale Ausstrahlung der Pilgerreisen, die entscheidend beitrugen zur »Vernetzung« Europas und zur Erweiterung unseres Weltbildes.
272 Seiten mit Abb.
ISBN 3-491-69104-4
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