In sueßer Ruh
Schlussfolgerung«, stimmte Lee zu.
»Haben Sie schon irgendeine Idee, was ihn getötet hat?«, fragte Butts.
»Nicht vor der Autopsie. Die Sanitäter haben aber die Einstichwunde von einer Kanüle an seinem Arm gefunden.«
»Ein Junkie vielleicht?«, schlug Butts vor.
Quinlan schüttelte den Kopf. »Das ist es ja – das war die einzige Einstichwunde, die er hatte. Keine anderen sichtbaren Anzeichen von Drogenmissbrauch. Sah auch nicht aus wie ein Junkie, der Kerl, und keiner, den wir befragt haben, hat ihn sich je einen Schuss setzen sehen. Wir warten aufs toxikologische Gutachten. In der Zwischenzeit sehen Sie sich mal das an.« Er zog ein Blatt Papier in einer Beweismitteltüte hervor.
Angestrengt blickten die drei durch die Tüte. In ordentlicher Druckschrift war darauf etwas notiert, das die Strophe eines Gedichts oder Liedtexts sein musste.
When the moon is full, give the Devil his due
Where is science now, what cares the moon?
Beware the madness at midnight
For my revenge falls upon you soon
»Du lieber Himmel«, sagte Butts., »entweder war das ein Rachemord, oder jemand spielt mal wieder das Ich-führ-euch-in-die-Irre-Spielchen.«
»Genau das denke ich auch«, stimmte Quinlan ihm zu.
»Irgendwelche Fingerabdrücke darauf?«, fragte Lee.
»Nein. Wer das getan hat, kannte sich mit Tatorten aus. Trug wahrscheinlich Handschuhe, aber das ist reine Spekulation, solange wir nicht irgendwas mit dem abgleichen können, was schon im System ist. Wir suchen noch immer nach Spuren.«
»Ich frage mich, ob der Mörder den Text selbst geschrieben oder ihn irgendwo anders herhat«, sinnierte Butts, doch Krieger tippte bereits auf den Laptop ein, den sie am anderen Ende des Raums aufgestellt hatten.
»Bingo«, sagte sie triumphierend. »Es ist aus einem Songtext der Band Calibrated Instruments.« Mit aufgerissenen Augen sah sie die anderen an. »Oh mein Gott – das ist eine Steampunk-Band.«
Alle im Raum hatten den gleichen Gedanken.
Butts war der Erste, der ihn aussprach. »Oh, Scheiße. Da stecken wir über beide Ohren drin.«
Lee gab ihm vollkommen recht. Ihr Vampir tat mehr, als seinen Opfern nur das Blut abzulassen. Und sein Opferprofil hatte sich gerade in eine neue Richtung erweitert.
KAPITEL 70
Davey sah auf den Leichnam seiner Tante Rosa hinab. Sie wirkte so friedlich, aufgebahrt auf dem großen Himmelbett – demselben, in dem seine Schwester gestorben war. Er faltete die Hände und sprach ein kurzes Gebet für sie, wie man es ihm in der Kirche beigebracht hatte – und natürlich in der alten Version, die so viel schöner und poetischer war als die doofen neueren, »modernisierten« Verse, die sie heutzutage im Gottesdienst sprachen.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch
im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt
mit Öl und schenkest mir voll ein.
Er leckte sich die Lippen bei diesen Worten und spürte, wie sich sein Blutdurst regte. Und schenkest mir voll ein …
Er sah seine Tante an. Ihre Augen waren geschlossen, die Hände über ihrem Schoß gefaltet. Es war die gleiche Position, in der er seine Schwester zum letzten Mal gesehen hatte, in diesem weißen Sarg, umgeben von Blumen. Er konnte die Gardenien mit ihrem penetranten, ekelhaften Duft jetzt riechen. Es schüttelte ihn. Er hasste Gardenien.
Er strich eine einzelne Haarsträhne aus Rosas Stirn und starrte auf ihr Gesicht, das so friedvoll war, beinahe als würde sie schlafen. Er hatte ihr natürlich die Augen schließen müssen, sie waren weit aufgerissen gewesen, als sie starb. Er wusste nicht, dass Menschen mit offenen Augen sterben konnten, es ging einem auf die Nerven, sie so zur Decke starren zu sehen. Sie tat ihm leid. Sie war seine geliebte Tante Rosa gewesen, doch sie war hereingeplatzt. Er hatte keine andere Wahl gehabt, als sie zu töten. Wirklich zu schade. Er wünschte, seinen Triumph mit ihr teilen zu können, seinen dunklen Traum von Unsterblichkeit. In dem Moment, als das Blut des Mädchens sich mit seinem vermischte, konnte er spüren, dass sein Körper gestärkt wurde, belebter und – ja, nicht endlich.
Der Anblick von Tante Rosas Gesichtsausdruck, als sie sein Labor sah, war fast komisch gewesen. Die Augen der Ärmsten wurden groß wie die einer Comicfigur, und ihre Hand schnellte zu ihrem Mund hoch. Sie keuchte kurz auf, und als er mit der Kanüle auf sie zukam, piepste sie
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